Wir vertreten die MAINung, dass Politik von der Diskussion lebt. Dieser Idee haben wir unseren Blog gewidmet. Wir sind Nikolaus Barth und Daniel Müller. Langjährig in der Jungen Union/CSU aktiv und zwischenzeitlich in verschiedenen Berufen und Orten beheimatet. Wir sind unseren Wurzeln dennoch weiterhin verbunden und mit dem steten Drang sich zu Wort zu melden. Die Themen reichen vom Untermain über München und Berlin bis nach Brüssel und darüber hinaus.

Viel Freude beim Lesen!

Sonntag, 15. Juni 2014

Frank Schirrmacher

München. Frank Schirrmacher ist tot. Wahrscheinlich ist das der einzig legitime Grund, über einen Wortgewaltigen, wie er einer war, einen bescheidenen Text zu verfassen. Er, der durch und durch politisch war, hätte sicher seine Freude an der Vielzahl von Nachrufen gefunden, die dieser Tage publiziert werden. Nicht selten hätte er den Anlass genutzt, um kritisch nachzufragen und zum Nachdenken anzuregen.

Ich bin ihm nie begegnet. Das verbietet per se einen solchen Text eigentlich. Es gab einen Berührungspunkt, der in seinem Vorzimmer endete. Im Jahr 2009 versuchte ich, ihn für einen Vortrag bei meinem damaligen Arbeitgeber zu gewinnen. Wir hatten viele, die gute Geschichten erzählen konnten, die das Publikum anzogen und für die nötige Aufmerksamkeit sorgten. Wir hatten wenige, die in der Lage waren, Trends der Zukunft zu beschreiben. Ich war mir sicher, Schirrmacher hätte diese Maßgabe voll erfüllt und er wollte. Leider kam es nie zu der Begegnung.

FAZ-Leser bin schon lange. Der morgendliche Zeitungsgenuss zwischen Bett und Büro reichte jedoch in der Regel nicht aus, die Essays und Kommentare Schirrmachers, in einem Wort seine Debattenanstöße, zu erfassen. Er durchleuchtete ein Thema von allen Seiten und bedachte jedes später gedruckte Wort mit größter Sorgfalt. Tiefgründig recherchiert und klar in der Sprache. Nicht weniger lesenswert seine Bücher. Er dachte erstmals Demographie von den Menschen her und lieferte damit  nicht nur den Einstieg in eine breite gesellschaftliche Debatte, er passte Politikern den Ball so zielgenau zu, um aus einem komplexen Zahlenthema einen emotionalen Programmpunkt zu machen. Er war dabei seiner Zeit oftmals weit voraus und nicht selten bedienten sich erst viel später Diskutanten seiner Thesen. 

Einen Trend der Zukunft zu erkennen, ihn zu beschreiben, und dabei die Folgen aufzuzeigen lag ihm. Die Digitalisierung der Gesellschaft, die enormen Fortschritte in der Wissenschaft und die Entfesselung der Finanzarchitektur sind diese Trends. Wer behauptet, er habe dabei einen gewissen Hang zur apokalyptischen Darstellung gehabt, irrt. Er wusste, dass nur der Gehör findet, der provoziert und polarisiert. Darin unterschied er sich in keiner Weise von seinem großen Förderer Marcel Reich-Ranicki. Nur wer das Leben so sehr liebt wie er, sorgt sich um die Entwicklungen der Zukunft und gestaltet sie aktiv und seiner Berufung entsprechend kritisch mit.

Er war liberal aber nicht links. Er war eine moralische Institution. Er selbst bezeichnete sich als konservativ. Günther Nonnenmacher, seit 20 Jahren und zeitgleich Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sah darin eine fehlhafte Selbsteinschätzung. Er irrt. Schirrmacher war konservativ im besten Strauß'schen Sinne: Er stand an der Spitze des Fortschritts. 

Auch in einem anderen Punkt war er wie Reich-Ranicki. Die Neugierde an allem Neuen und an allen Nachrichten. Es ist sicher nicht anmaßend zu schreiben, dass er Langeweile verachtete. Möglicherweise ist die Langeweile auch der Grund, weswegen Reich-Ranicki ihn schneller an seiner Seite haben wollte als gedacht. Sie werden herrliche Debatten führen und es wird sicher nicht langweilig. Uns, die künftig auf ihn verzichten müssen, wird er sehr fehlen. Im Leben regte er zum Nachdenken an, im Sterben ist er sich darin treu geblieben. 

"Was uns keiner nehmen kann, ist unser Geist. Er ist unser Kapital. Also seien Sie selbstbewusst!" (Frank Schirrmacher, 5. September 1959 - 12. Juni 2014).