Hamburg. Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass die Parteien in diesem Wahlkampf derart weit programmatisch auseinandertreiben? Nachdem strittige Themen wie Atomausstieg, Kinderbetreuung, Aussetzung der Wehrplicht und der Abzug aus Afghanistan keine Rolle mehr spielten, weitesgehend Einigkeit über die Behandlung des deutschen Haushaltsdefizits (Schuldenbremse) bestand, konnte eigentlich nur noch die Bekämpfung des europäischen Schuldeninfernos für Streit sorgen. Doch auch hier waren es eher Nuancen der Abweichung, hatte doch der Bundestag meist in großer Mehrheit die Regierungspolitik mitgetragen. Es kam anders.
SPD und Grüne starteten den Versuch die Linken links zu überholen und die Liberalen wurden nach innerparteilischen Problemen von rechts außen aus dem Bundestag gefegt. Die Handschrift Merkels war im Programm der CDU erkennbar. Es geht uns gut, also warum sollten wir wesentliches ändern, Mütterrente ja, Mietpreisbremse warum nicht und ein weiteres Fordern und Fördern in Europa. Alle Parteien blendeten die großen Zukunftfragen unserer Zeit weitesgehend aus. Die Energiewende taugte weniger zum ideologischen Streit.
Warum dieser dennoch ausgetragen wurde und das bei scheinbar nachrangigen Themen wie Autobahnmaut für Ausländer und Betreuungsgeld ist vor allem durch Personen und der Vergangenheit begründbar. Auf Basis der Programme ist streng genommen einzig eine rot-rot-grüne Koalition möglich - zumindest wenn man Außen- und Europapolitik ausblendet. Deutlich zeigt sich dies in den Nachwehen bei den Grünen, die sich in die parteipolitischen Schützengräben zurückgezogen und schon wieder auf Angriff geschaltet haben. Bei der SPD könnte es noch im Chaos enden, wenn am Ende die Parteibasis den Koalitionsvertrag mehrheitlich ablehnt. Probleme hat die Führung aber auch, wenn es keine klare Zustimmung gibt.
Nun also die GroKo. Deutschland droht der große Konsens. Die große Koalition mag unter Wählern beliebt sein, sie ist in aller Regel die denkbar schlechteste Variante für Demokratie und die beteiligten Parteien. Zwar haben die beiden bisherigen Koalitionen vorzeigbare Ergebnisse geliefert, doch sie mussten damals aus der krisenbedingten Notwendigkeit heraus etwas Großes wagen.
Diesmal ist es anders - nicht die Krise zwingt sie dazu, die Gesellschaft ist es. Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit aus den programmatischen Stellungen gesichtswahrend herauszukommen ohne im Kosensbrei zu enden - der große Wurf: Eine große Steuerreform, die das System vereinfacht und Ungerechtigkeiten lindert (Stichwort: ermäßigter Mehrwertsteuersatz), eine energiepolitische Vision, die Preise unter Wettbewerb stellt und Subventionen abbaut, ein integriertes Verkehrskonzept für Deutschland (und Europa), welches Bahn, Flugzeug und Auto als Nebeneinander versteht und verzahnt, eine große Rentenreform, welche Bund, Länder und Kommunen von der immensen Pensionslast langfristig entlastet und die Rente zu einer mehr kapitalgedeckten und damit planbareren Einrichtung macht, eine Gebietsreform auf Bundesebene, welche die Kosten (oder Anzahl) der Länder verringert ohne ihnen ihre Identität zu nehmen und natürlich ein gestärktes Europa, das zwar weniger staatliche Souveränität bedeutet, aber gleichzeitig das Kirchturmdenken beendet und Europa eine Chance gibt. Gerade hier wäre unendlich viel anzustoßen: Nach Währungsunion wäre ein Verteidigungsunion sinnvoll, die den Charme hätte staatliche Militätausgaben zu senken und Frieden und Freiheit unumkehrbar macht. Europa könnte sein Budget- und Fiskalrecht ändern und damit dem Gebilde die Möglichkeit einräumen selbstständig Steuern zu erheben, beispielsweise ein Anteil an der Mehrwertsteuer, um damit Wachstumsimpulse zu setzen oder die Schuldenumverteilung zu ermöglichen und natürlich um nicht jedes halbe Jahrzent bei den Staats- und Regierungschefs um eine Zustimmung zur Finanzierung der Union betteln zu müssen.
Alles Einzelthemen die in ihrer Gesamtheit einen neuen Weg darstellen. Viele dieser Themen würde eine Partei alleine überfordern und in Existenznöte bringen. Nur der Schnittmenge der besten Politiker wäre es möglich diese Themen zu benennen und Lösungswege aufzuzeigen bzw. umzusetzen. Es ist ein weiter Weg, aber jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Lasst uns einen großen wagen.