Wir vertreten die MAINung, dass Politik von der Diskussion lebt. Dieser Idee haben wir unseren Blog gewidmet. Wir sind Nikolaus Barth und Daniel Müller. Langjährig in der Jungen Union/CSU aktiv und zwischenzeitlich in verschiedenen Berufen und Orten beheimatet. Wir sind unseren Wurzeln dennoch weiterhin verbunden und mit dem steten Drang sich zu Wort zu melden. Die Themen reichen vom Untermain über München und Berlin bis nach Brüssel und darüber hinaus.

Viel Freude beim Lesen!

Samstag, 9. November 2013

Großes wagen

Hamburg. Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass die Parteien in diesem Wahlkampf derart weit programmatisch auseinandertreiben? Nachdem strittige Themen wie Atomausstieg, Kinderbetreuung, Aussetzung der Wehrplicht und der Abzug aus Afghanistan keine Rolle mehr spielten, weitesgehend Einigkeit über die Behandlung des deutschen Haushaltsdefizits (Schuldenbremse) bestand, konnte eigentlich nur noch die Bekämpfung des europäischen Schuldeninfernos für Streit sorgen. Doch auch hier waren es eher Nuancen der Abweichung, hatte doch der Bundestag meist in großer Mehrheit die Regierungspolitik mitgetragen. Es kam anders.

SPD und Grüne starteten den Versuch die Linken links zu überholen und die Liberalen wurden nach innerparteilischen Problemen von rechts außen aus dem Bundestag gefegt. Die Handschrift Merkels war im Programm der CDU erkennbar. Es geht uns gut, also warum sollten wir wesentliches ändern, Mütterrente ja, Mietpreisbremse warum nicht und ein weiteres Fordern und Fördern in Europa. Alle Parteien blendeten die großen Zukunftfragen unserer Zeit weitesgehend aus. Die Energiewende taugte weniger zum ideologischen Streit. 

Warum dieser dennoch ausgetragen wurde und das bei scheinbar nachrangigen Themen wie Autobahnmaut für Ausländer und Betreuungsgeld ist vor allem durch Personen und der Vergangenheit begründbar. Auf Basis der Programme ist streng genommen einzig eine rot-rot-grüne Koalition möglich - zumindest wenn man Außen- und Europapolitik ausblendet. Deutlich zeigt sich dies in den Nachwehen bei den Grünen, die sich in die parteipolitischen Schützengräben zurückgezogen und schon wieder auf Angriff geschaltet haben. Bei der SPD könnte es noch im Chaos enden, wenn am Ende die Parteibasis den Koalitionsvertrag mehrheitlich ablehnt. Probleme hat die Führung aber auch, wenn es keine klare Zustimmung gibt. 

Nun also die GroKo. Deutschland droht der große Konsens. Die große Koalition mag unter Wählern beliebt sein, sie ist in aller Regel die denkbar schlechteste Variante für Demokratie und die beteiligten Parteien. Zwar haben die beiden bisherigen Koalitionen vorzeigbare Ergebnisse geliefert, doch sie mussten damals aus der krisenbedingten Notwendigkeit heraus etwas Großes wagen.

Diesmal ist es anders - nicht die Krise zwingt sie dazu, die Gesellschaft ist es. Es gibt eigentlich nur eine Möglichkeit aus den programmatischen Stellungen gesichtswahrend herauszukommen ohne im Kosensbrei zu enden - der große Wurf: Eine große Steuerreform, die das System vereinfacht und Ungerechtigkeiten lindert (Stichwort: ermäßigter Mehrwertsteuersatz), eine energiepolitische Vision, die Preise unter Wettbewerb stellt und Subventionen abbaut, ein integriertes Verkehrskonzept für Deutschland (und Europa), welches Bahn, Flugzeug und Auto als Nebeneinander versteht und verzahnt, eine große Rentenreform, welche Bund, Länder und Kommunen von der immensen Pensionslast langfristig entlastet und die Rente zu einer mehr kapitalgedeckten und damit planbareren Einrichtung macht, eine Gebietsreform auf Bundesebene, welche die Kosten (oder Anzahl) der Länder verringert ohne ihnen ihre Identität zu nehmen und natürlich ein gestärktes Europa, das zwar weniger staatliche Souveränität bedeutet, aber gleichzeitig das Kirchturmdenken beendet und Europa eine Chance gibt. Gerade hier wäre unendlich viel anzustoßen: Nach Währungsunion wäre ein Verteidigungsunion sinnvoll, die den Charme hätte staatliche Militätausgaben zu senken und Frieden und Freiheit unumkehrbar macht. Europa könnte sein Budget- und Fiskalrecht ändern und damit dem Gebilde die Möglichkeit einräumen selbstständig Steuern zu erheben, beispielsweise ein Anteil an der Mehrwertsteuer, um damit Wachstumsimpulse zu setzen oder die Schuldenumverteilung zu ermöglichen und natürlich um nicht jedes halbe Jahrzent bei den Staats- und Regierungschefs um eine Zustimmung zur Finanzierung der Union betteln zu müssen. 

Alles Einzelthemen die in ihrer Gesamtheit einen neuen Weg darstellen. Viele dieser Themen würde eine Partei alleine überfordern und in Existenznöte bringen. Nur der Schnittmenge der besten Politiker wäre es möglich diese Themen zu benennen und Lösungswege aufzuzeigen bzw. umzusetzen. Es ist ein weiter Weg, aber jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt. Lasst uns einen großen wagen.

Freitag, 1. November 2013

Merkels Fukushima II

Klingenberg/Main. Angela Merkel vorzuhalten, sie hätte kein eigenes Fundament, Programm oder Wertvorstellungen ist unsinnig. Die Bundeskanzlerin ist geprägt von einer Freiheitsliebe, die anderswo kaum ortbar ist. Ferner macht sie Politik als Physikerin unter Abwägung von Eintrittswahrscheinlichkeiten, teilweise zurückhaltend, aber dann doch meist klar fokusiert auf das, was machbar scheint und dem Menschen dient ohne die Risiken zu ignorieren. Dieser Politikstil lässt sie als zaudernd wirken, nur exogene Schocks vermögen ihr Fundament zu kippen. Fukushima war ein solcher, ein zweites Fukushima kam gerade hinzu oder war es schon das dritte oder vierte?

Lediglich Joachim Gauck scheint eine noch größere Freiheitsliebe unter der ersten Reihe der Politik zu besitzen. Sowohl er als auch Merkel wurden durch die DDR geprägt. Die Freiheit schenkte beiden uneingeschränkte Möglichkeiten, wie sie in der DDR niemals vorstellbar waren - zumindest für diese beiden. Bei der Bundeskanzerlin war in den ersten fünfzehn Jahren ihres politischen Wirkens in der noch jungen gesamtdeutschen Republik die Staatsferne spürbar. Ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat verbunden mit liberalen Grundgedanken. Der Leipziger Parteitag ist das bekannteste Beispiel hierfür. Ein neokonservatives (nicht neoliberal im ureigenen Sinn der Definition) Programm, das dem Staat eine ordnente Haltung zuwies, aber den Menschen die Freiheit schenkte, das beste aus dem jeweiligen Leben zu machen. Diese Liberalität prägt sie bis heute, gleichwohl sie natürlich unter dem Eindruck der verlorenen Wahlen von 2002 und 2005 und den Erfahrungen der Finanzkrise dieses Programm niemals mehr vertreten wird. Und wahr ist auch, dass sie unter Berücksichtigung der Interessen der Mehrheit der Parteimitglieder (Stammwähler) von CDU/CSU nur langsam ihre linksliberale Gesellschaftswahrnehmung in reale Politik umsetzen kann.

Ausnahmen bilden exogene Schocks, die die Physikerin zu einem Umdenken zwingen. Das erste Beispiel war Fukushima im Frühjahr 2011. Im Wahlkampf 2009 hatte die Kanzerlin für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraft in Deutschland geworben, wohl wissend, dass die Energiewende zwar notwendig ist, aber die bisherigen Fortschritte alles andere als ausreichen. Sie hielt die Verlängerung für machbar unter der Voraussetzung von erheblichen Nachrüstungen der bestehenden Kraftwerke und durch die Möglichkeit ein Teil der Kosten der Energiewende durch die Brückentechnologie der abgeschriebenen Meiler zu finanzieren. Das Restrisiko war für sie theoretisch und beherrschbar. Natürlich in erster Linie von den Industrienationen mit ihren hohen technischen Standards. Fukushima bewies das Gegenteil, das Restrisiko ist nicht vollständig ausschließbar und die Eintrittswahrscheinlichkeit höher als gedacht. Merkels Energiewende wurde umgekehrt und radikal. Ein für sie logischer Schritte.

Im Sommer wurden wir Deutsche wiederum aufgeschreckt. Die Datenaffäre der NSA machte Schlagzeilen. Abhören und Spionieren unter Freunden, das gehört sich nicht. Doch Merkel hielt es für unwahrscheinlich, dass die Vereinigten Staaten gezielt abhörten. Der Datencheck war für sie zur Vermeidung von Terroranschlägen akzeptierbar, nachrichtendienstliche Ermittlungen mit der Demokratie vereinbar, sofern gezielt nach Schlagworten gesucht wurde und nur Terrorverdächtige verfolgt wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass andere Dienste in Deutschland politische und persönliche Spionage betreiben, ausschließbar, ein Restrisiko blieb. Die Veröffentlichungen des Spiegels müssen bei Merkel eingeschlagen haben wie eine Bombe. Ausgerechnet die von ihr bewunderten USA haben da weiter gemacht, wo man glaubte das mit dem Untergang der DDR dergleichen für immer vorbei sei. Abhören unter Freunden, dass geht gar nicht. Der 11. September genügt nicht als Erklärung, das Vertrauen ist missbraucht und Merkel leider um ein Fukushima reicher.

Merkels Fukushimas tragen viele Chiffren: Helmut Kohls Spendenaffäre, die Finanz- und Eurokrise, die verlorene Wahl 2005. Alles exogene Schocks, der Eintrittswahrscheinlichkeiten gering waren und das Restrisiko beherrschbar schien.