Miltenberg. Letztes Jahr feierte Unterfranken ein großes Jubiläum: Seit 200 Jahren gehört der Regierungsbezirk zu Bayern. Damals zwar noch unter anderem Namen, aber in den Außengrenzen so gut wie identisch mit dem heutigen Gebiet. Das Ende der napoleonischen Herrschaft war gerade eingeläutet, als auch der Bayerische Untermain, in einer Art französisch-hegemonialen Konkursmasse, an die Wittelsbacher ging. Es handelte sich um einen weichenstellenden Geschichtsmoment, denn von da ab wurde die Region von München aus regiert und der sprichwörtlich weiß-blaue Himmel dehnte sich bis nach Aschaffenburg aus.
Die Jahrhunderte zuvor stand diese Gegend unter ganz anderem Machteinfluss: Denn die Mainzer Erzbischöfe, in Personalunion als Kurfürsten auch mit weltlicher Herrschaftsgewalt ausgestattet, bestimmten über die Geschicke der Menschen am Untermain hinauf bis nach Miltenberg. Geblieben sind von der Kurmainzer Regentschaft noch heute Zeugnisse wie das stadtbildprägende Aschaffenburger Schloss Johannisburg, welches den Erzbischöfen als Zweitsitz im so genannten Vizedomamt diente oder die, die Alltagssprache dominierende, rheinfränkische Mundart. Historische und regional verbindende Elemente wurden 1977, wenige Jahre nach der Bayerischen Gebietsreform, auch in das Wappen des neu strukturierten Landkreises Miltenberg aufgenommen: Das Mainzer Rad, der fränkische Rechen, die bayerische Raute und ein Wellenpfahl als Symbol des von Süden nach Norden fließenden Mains. Jahrzehnte später schickten sich Tourismusförderer und Marketingexperten an, die historischen Verbindungen stärker zu betonen und kreierten den werbewirksameren Kunstbegriff Churfranken für die Maintalregion in und um Kreis und Stadt Miltenberg.
Auf die Kurmainzer Wurzeln besinnen sich in diesen Tagen nicht nur die Unterstützer der hiesigen Tourismusinitiative, sondern auch in der Politik spielen diese wieder eine stark zunehmende Rolle. Allerdings ist dabei nicht die Heimatgeschichte als solche von Interesse. Es geht vielmehr um Zukunftsfragen und – wie könnte es anders sein – um Geld. Aber der Reihe nach. Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann lud am vergangenen Freitag zum Tag der Metropolregion ein, um die „Kurmainzer Achse“, wie er es nennt, wieder zu beleben. Beim Anblick des rot-weißen Mainzer Doppelradwappens, das sogar seinen Amtsstuhl im Frankfurter Römer ziert, könnte dem Sozialdemokrat der Gedanke dazu gekommen sein, seinen politischen Wirkungskreis zu erweitern.
Der Frankfurter Feldmann traf sich in der Woche zuvor mit den Oberbürgermeistern von Mainz und Aschaffenburg. Die illustre Truppe tourte gemeinsam durch die drei Städte. Der Presse war zu entnehmen, dass er mit seinen rheinland-pfälzischen und bayerischen Amtskollegen, beide ebenfalls Sozialdemokraten, vornehmlich Fragen zum gemeinsamen Standortmarketing der Wirtschaftsregion Rhein-Main besprechen wollte. Anzunehmen ist aber auch, dass Feldmann sein Projekt vertieft erörterte, welches er am Freitag dann in der symbolträchtigen Frankfurter Paulskirche einer breiten Öffentlichkeit vorstellte: Ein Staatsvertrag zur Stärkung der Metropolregion Rhein-Main zwischen Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz. Zum genauen Inhalt bleibt er aber vage und beließ es zunächst bei dem strategischen Ansinnen, bundesländerübergreifend „gemeinsame Verantwortungen“ in verschiedenen Lebensbereichen wie Wohnen, Verkehr, Wirtschaft, Energie, Tourismus, Kultur oder demographischem Wandel festzuschreiben. Warum das besonders wichtig ist, aber genauso besonders oft nicht funktioniert, wurde schon an anderer Stelle dieses Blogs erörtert. (Schierstein.)
Zu viel Detail verschreckt offenbar das scheue Wild der überparteilichen Eintracht. Denn Feldmann will das bisher auf breiter politischer Basis unterstützte Ansinnen erst 2016 nach den hessischen Kommunalwahlen diskutieren. Wohl auch um zu sehen, wie dann die Mehrheiten im Frankfurter Römer ausschauen. Bisher haben hier die Fraktionen von schwarz und grün das Sagen und es kommt nur allzu oft zum Zwist mit dem Rathauschef. Beispielsweise sprach der Magistrat dem Stadtoberhaupt zum ersten Mal in deren Geschichte im Jahr 2013 eine Missbilligung aus. Innerhalb der eigenen Partei ist die Stimmung besser. Hier hat er viele Freunde, denn die Oberbürgermeister von Mainz, Wiesbaden, Offenbach, Hanau, Gießen und Aschaffenburg haben zwei Dinge gemeinsam: Sie führen die wirtschaftlich bedeutendsten und bevölkerungsreichsten Kommunen des Rhein-Main-Gebiets und haben zudem das gleiche Parteibuch. Nämlich das der SPD.
Bleiben bei der hessischen Kommunalwahl die bisherigen Machtverhältnisse bestehen, wird es spannend zu beobachten, wie Feldmann sein Projekt weiter treiben wird. Insbesondere wann er gedenkt, die schwarz-grüne Landesregierung mit ins Boot zu holen. Denn ein Staatsvertrag ohne deren Mitwirkung ist ausgeschlossen. Ob er hier noch einen Regierungswechsel abwartet, ist stark fraglich. Feldmann will den Erfolg aber auf sein Konto verbuchen lassen. Teilen kommt da kaum in Frage. Die Basis von CDU und Grünen steht indes einer Stärkung der Metropolregion positiv gegenüber. Insbesondere, wenn dies bedeutet, dass zusätzliches Geld in die notorisch klammen Kommunalkassen fließt. Feldmann hat dazu auch schon zwei potentielle Geldquellen ausgemacht: Die EU sowie die beiden Nachbarbundesländer, hier vor allem an das finanzstarke Bayern.
Zum „Tag der Metropolregion“ lud sich Feldmann den Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), in die Frankfurter Paulskirche ein. Historische Assoziationen bleiben am Sitz der ersten Nationalversammlung nicht aus. John F. Kennedy adelte den aus rotem Mainsandstein erbauten und immer wieder als Sakralgebäude genutzten Veranstaltungsort bei seinem Besuch 1963 als „Wiege der deutschen Demokratie“. Vom gleichen Pult aus sprach nun Schulz und es war eine seiner leichtesten präsidialen Aufgaben, den vorwiegend kommunalen Vertretern die Vorteile einer starken Metropolregion im globalen Wettbewerb aufzuzeigen. Er attestierte der Region auch sogleich ein hohes Potential und lobte regionale Zusammenschlüsse als Zukunftsmodell. Denn stark vereinfach gesagt, fördert die Europäische Union Metropolregionen und ähnliche Zusammenschlüsse nach deren Bevölkerungszahl.
An dieser Stelle kommen der Bayerische Untermain (370.000 Einwohner) und Mainz (205.000 Einwohner) ins Spiel: Schafft es Feldmann, diese Randgebiete bundesländerübergreifend durch einen Staatsvertrag in die Metropolregion zu binden, schlagen runde 575.000 Köpfe mehr bei der EU-Förderung zu Buche. Ein bedeutender Schritt nach vorne; denn dies macht etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung des Rhein-Main-Gebiets aus. Frankfurt selbst hat sich über die Jahre deutlich gemacht. Aus der Wild-West-City der Siebziger- und Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts hat sie sich zu einer lebens- und liebenswerten Stadt (Das rothe Frankfurt) gemausert. Aber dennoch kommen die Menschen eher nur zum Arbeiten in die Metropole und leben lieber draußen auf dem Land. Zwar fließen immense Gewerbesteuereinnahmen, doch fallen gleichzeitig auch beispielsweise hohe Ausgaben für Infrastruktur und deren Erhalt an. Gegen zusätzliches Geld hätten die Frankfurter Stadtoberen sicher nichts einzuwenden.
Denn die zweite Fliege, die mit einer Klappe, der gemeinsam verfassten Metropolregion erschlagen werden kann, heißt bayerische Regionalförderung. Im Landesentwicklungsplan des Freistaates findet sich schon seit geraumer Zeit das Ziel, seine Metropolregionen wie München oder Nürnberg wirtschaftlich, verkehrlich, wissenschaftlich, kulturell und touristisch weiterzuentwickeln und besonders zu fördern. Dies gilt auch explizit für den Bayerischen Untermain, da dieser als Teil der Rhein-Main-Region von der Staatsregierung ebenfalls als förderungswürdig anerkannt wurde. Schließlich soll im Zuge der Initiative des Bayerischen Heimat- und Finanzministeriums gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen auch in den strukturschwächeren Randregionen des Flächenstaats geschaffen werden.
Der bayerische Teil des Rhein-Main-Gebiets war am vergangenen Freitag durch Landrat Ulrich Reuter aus Aschaffenburg vertreten. Dem CSU-Mann lag viel daran zu betonen, wie wichtig die Verbindung ins und mit dem Rhein-Main-Gebiet sei. Er ist die Personifikation einer vernetzten Metropolregion: Aufgewachsen und nach studienbedingter Wanderschaft zwischenzeitlich schon lange wieder wohnhaft in Kleinostheim, promovierte der in Bayern studierte Jurist an der Goethe-Universität. Als Rechtsanwalt und leitender Angestellter im Deutsche Bank-Konzern blieb er Frankfurt bis kurz vor seiner Wahl zum Landrat treu. Ihn nun bei der Wahrung untermainischer Interessen am „Tag der Metropolregion“ zu wissen, macht sachlich und vom Herzen her den richtigen Eindruck. Insgesamt bleibt zu wünschen, dass es dem bayerischen Botschafter in der Metropolregion auch im Resultat gelingt, in München, Frankfurt oder wo es auch immer notwendig sein mag, für die Anliegen des Untermains erfolgreich zu werben.
Auf Reuter ruhen die Hoffnungen, denn möglicherweise ist der grüne Miltenberger Landrat (noch) zu schlecht vernetzt, um ihm hier zu assistieren. Denn wichtig für Churfranken ist, dass Bayern nicht nur Zahlmeister durch einen Staatsvertrag wird, sondern auch die gewünschten Vernetzungsvorteile bei Wirtschaft, Verkehr, Bildung, Gesundheit, etc. erzielt werden. Dafür muss er ins Felde ziehen. Die Landkreisbürger müssen die Vorteile einer Metropolregion spüren. Ansonsten bleibt es kühle Hülle einer kühnen Idee, deren Identifikationswerte auch schnell wieder sinken würden. Die Menschen am Untermain sind in der weiten Mehrzahl stolz darauf, Bayern zu sein. Eine politische Entkoppelung vom Freistaat wollen die Allerwenigsten. Die länderübergreifenden Regularien im Staatsvertrag sind deshalb mit großem Bedacht zu entwerfen und die besondere Stellung zu wahren. Das hat die Region – das haben die Menschen – verdient. Der Untermain und die Metropolregion haben Perspektive. Deshalb bleibt zuletzt der Vorschlag mit Signalwirkung: Die Metropolregion muss Rhein-Main-Churfranken heißen und genau in dieser Vielfalt in Einigkeit gelebt werden.