Wir vertreten die MAINung, dass Politik von der Diskussion lebt. Dieser Idee haben wir unseren Blog gewidmet. Wir sind Nikolaus Barth und Daniel Müller. Langjährig in der Jungen Union/CSU aktiv und zwischenzeitlich in verschiedenen Berufen und Orten beheimatet. Wir sind unseren Wurzeln dennoch weiterhin verbunden und mit dem steten Drang sich zu Wort zu melden. Die Themen reichen vom Untermain über München und Berlin bis nach Brüssel und darüber hinaus.

Viel Freude beim Lesen!

Sonntag, 26. Dezember 2010

Die Zukunft der Kirchtürme

Klingenberg/Main. In Bayern stehen 2014 die nächsten Kommunalwahlen an. Bis dahin gibt es vielerorts noch einiges zu erledigen. Die wirtschaftliche Erholung hilft bei der Lösung mancher Probleme - einige Probleme werden aber auch über das Jahr 2014 bestehen und erfordern eine grundlegende Neuorientierung. Die Überlegungen hierzu sind heute schon erforderlich.

Die demographische Entwicklung wird immer stärker die Zukunft prägen. Bevölkerungsrückgänge im ländlichen Raum werden unterschiedlich stark ausfallen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird viele kleine Gemeiden vor unlösbare Aufgaben stellen. Die flächendeckende Versorgung mit Schulen wird aufgrund fehlender Kinder immer schwieriger. Vereine, Kirchen und Parteien fehlt der Nachwuchs.

Stärker als jemals zuvor hängt es davon ab, wie gut die Gemeinden im ländlichen Raum zusammenarbeiten. Viele Probleme sind nur gemeinsam lösbar. Dabei kommt den Landkreisen und Landräten als Moderatoren eine zentrale Rolle zu.

Drigend ist vom Ausweis neuer Baugebiete, die stetige Erweiterung der Infrastruktur und der rein auf Familienfreundlichkeit gerichteten Kommunalpolitik abzuraten. Sinkt die Bevölkerung, steigen die Kosten für die Infrastruktur, beispielsweise Straßen, Wasserversorgung und Müllentsorgung, stetig. Auf die Bürger wird dies durch höhere Gebühren umgelegt und damit Kaufkraft und wirtschaftliche Attraktivität entzogen. Gleichzeitig fordert die Überalterung der Bevölkerung seniorenfreundliche Gemeinden.

Nicht nur der Bau seniorengerechter Wohneinheiten ist eine Zukunftsaufgabe. Viel mehr muss die Versorgung der ländlichen Bevölkerung, der öffentliche Nahverkehr und die Bauweise von Straßen und öffentlichen Gebäuden stärker auf diese Bevölkerungsgruppe ausgerichtet werden. Die einzelnen Gemeiden sollten in diesem Sinne unterschiedliche Kompetenzzentren bilden - angefangen von der Gesundheitsinfrastruktur bis hin zur Gestaltung kinderfreundlicher Baugebiete in der Nähe von Schulen und Kindergärten. Entscheident ist die multiple Einsatzfähigkeit. Der Rückbau der nicht genutzten Infrastruktur ist nicht nur ein Thema für den Osten der Republik.

Ein großes Problem wird der Nachwuchs für Vereine, Kirchen und Parteien. Dabei wird sich das Nachwuchsproblem auch direkt auf die Zukunft der Gemeinden auswirken. Bereits 2014 werden in Bayern zahllose Bürgermeisterkandidaten und Kandidaten für die Räte fehlen. Kleine eigenständige Gemeinden werden keine ehrenamtliche Bürgermeister mehr finden. Häufiger als 2008 werden Gegenkandidaten fehlen. Einheitslisten werden bald üblicher. Die politische Klasse wird, ob CSU, SPD, Freie, Grüne, FDP oder sonstige, über kurz oder lang weiter verarmen. Konkurrierende Talente werden drigend gebraucht.

Vor diesen vielen ungelösten Probleme ist eine Gebietsreform auch in Bayern eine erforderliche Maßnahme und drigender den je anzugehen. Der Landkreis Miltenberg verfügt beispielsweise mit 130.000 Einwohnern über 32 eigenständige Gemeiden, was für Landkreise vergleichbarer Größe in Hessen oder Baden-Württemberg nicht denkbar ist. Wer die besten Köpfe für Räte und Bürgermeisterämter will, wer langfristig die Ausgaben senken möchte und Konzepte für eine zukunftsfähige Gemeinde sucht, muss eine deutliche Reduzierung der Kommunen angehen. Dabei ist je nach Finanzkraft und Zukunftsfähigkeit eine Drittelung der Anzahl eigenständiger Gemeinden sinnvoll. Damit wird gewährleistet, dass auch morgen noch die Zukunft gestaltbar ist.

Es gibt keine Zweifel an der Notwendigkeit dieser Maßnahme. Idealerweise beginnen die Landräte und Gemeiden bereits vor 2014 auf freiwilliger Basis damit, bevor das Land bis 2020 sich dazu gezwungen sieht. Die Landesregierung und der Landtag müssen die Gebietsreform gut vorbereiten und zugleich eine umfassende Reform der Kommunalverfassung anstreben, um den eigenen Charakter von kleinen Dörfern und Gemeinden im ländlichen Raum zu gewährleisten.

Freitag, 3. Dezember 2010

Das Ende der Pastapolitik

Frankfurt/Main. Dieser Tage sind bemerkenswerte Vorgänge zu beschreiben. Das Ende der schwarz-grünen Koalition in Hamburg, die Schlichtung von Stuttgart und die offensichtliche grün-rote Dominanz im Bund. Die längst für beendet geglaubte Lagerbildung erfährt eine Wiederbelebung und lähmt gleichzeitig das Land. Vorbei sind die Perspektiven der schwarz-grünen Pizza-Connection.

Kaum ein politischer Beobachter hatte im Laufe dieses Jahres derart dramatische Verwerfungen zwischen dem grünen und dem konservativen Lager vermutet. Klar war und ist die schwere Hypothek der Verlängerung der Atomlaufzeiten. Mit Ole von Beust, Norbert Röttgen und Hermann Gröhe schien im Gegenteil der Ideenaustausch befördert und eine klare Perspektive für ein konservativ-ökologisches Bündnis auf Bundesebene möglich. Unzählige Beispiele finden sich, die zeigen, dass vielerorts die Zusammenarbeit funktioniert und die Überschneidungen vielseitig sind.

Die Frage weshalb diese Gemeinsamkeiten heute scheinbar nicht mehr gelten, stellt sich nahezu jeder. Die Grünen haben sich wunderbar in der Opposition entwickelt und können heute zurecht behaupten, die stärkste der Oppositionsparteien zu sein. Nicht wenige haben erwartet, dass sich die Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen mit der FDP beschäftigt. Diese scheint jedoch inzwischen in die Bedeutungslosigkeit gerückt und somit ist das Ziel der Grünen ein Neues.

Die Gemeinsamkeiten mit der Union sind weg. Nicht erst seit Stuttgart 21 stehen Grüne an der Spitze vieler Protestbewegungen - seien es örtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen, Nachtflugverbote oder Tiefbahnhöfe. Die beiden großen Volksparteien haben diesen Trend verschlafen. Daher werden sie nicht selten als bürgerfern beschrieben. Der Union steht der Glaube an die staatlichen Institutionen nicht gut. Die Grünen können unter dem Hinweis auf ihre gelebte Basis- und Bürgerdemokratie diesen Vorteil nutzen.

Was aber hat sich geändert zu früheren Zeiten? Zum einen die grünen Machtperspektiven, zum anderen ist die vielseits gelobte Basisdemokratie nicht mit den Grünen mitgewachsen. Viele Wähler fühlen sich von den Grünen vertreten. Dabei ist das Ökobewußtsein in breiten Schichten eher zweitrangig. Bei anderen spielt dieses gepaart mit den linksromantischen Ideen nach wie vor die entscheidende Rolle. Dieses Auseinandertrifften wird für die neue grüne Volkspartei eine schwere Belastung sein, die Umfragen erlauben eine Bequemlichkeit, welche mittelfristig die Partei spalten könnte. Vorbei sind die Zeiten, in denen Joschka Fischer und Jürgen Trittin leidenschaftlich für ihre Positionen innerhalb der Partei kämpfen mussten, en vogue ist was mehrheitsfähig scheint - egal ob frühere Entscheidungen dadurch gekippt werden - die Machtperspektive entscheidet alles.

Vorbei ist auch die Verbindung zwischen Basis und Führung. Der Vielflieger Cem Özdemir und Jürgen Trittin, vor allem aber die vielen alten Frontmänner der Partei haben scheinbar die basisdemokratischen Ideale verraten oder verloren. Ob Rezzo Schlauch oder Joschka Fischer - sie alle nutzen ihre Bekanntheit für gutbezahlten Jobs in der Wirtschaft. Grün sein heißt zweifelsfrei nicht (mehr) arm sein. Die vielen neuen Wählerschichten würden dies auch gar nicht akzeptieren. Heißt grün sein zwischenzeitlich aber auch bequem sein?

Ob Stuttgart 21 oder München 2018 - die Partei geht den Weg des geringsten innerparteilichen Widerstands. Und genau hier liegt der Unterschied zur Union. Genau dies ist der Grund, weshalb CDU und CSU heute viel weiter entfernt scheinen als jemals zuvor. In den 61 Jahren der Republik hat die Union stets versucht ein verlässlicher Gestalter des Staates zu sein. Getreu dem Satz von Franz Josef Strauß - konservativ sein bedeutet an der Spitze des Fortschritts stehen.

Die Union kämpft für rot-grüne Regierungsbeschlüsse. Der Eindruck bleibt, dass zwischenzeitlich das heutige Regierungslager mehr zur Agenda 2010 steht als die ehemalige Regierung, auch die Grünen. Notwendige Beschlüsse werden gefasst. Das Energiekonzept ist kein Austieg aus dem Austieg, es ist der Einstieg in das Ende des atomaren und fossilen Zeitalters - ohne jedoch die industrielle Basis des Landes zu gefährden. Die Regierung geht die Endlagerthematik an. Auf Basis der sozialen Marktwirtschaft und den Ideen Ludwig Erhards macht sich Merkel & Co derzeit in Europa und der Welt unbeliebt - aber im Sinne der deutschen Interessen.

Es erscheint so einfach für die Union Wahlen zu gewinnen. Sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie, Rente mit 66 statt 67 und die Umsetzung der Bürgerversicherung als Konzept in der Gesundheitspolitik. Mit einem Schlag wäre die alte Volkspartei zurück. Doch das Verständnis dem Staat zu dienen macht es der Union unmöglich. Ob NATO-Doppelbeschluss, die Ost-Verträge oder die Wiedervereinigung - dies alles trug nicht zur Beliebtheit der Konservativen bei. Die Union erledigt das Notwendige. Sie nimmt die Gefahr der Abwahl in Kauf, um den Vorwurf der Beliebigkeit zu vermeiden und um Demokratie, Rechtstaatslichkeit und Wohlstand zu festigen. Das ist wohl auch das Ende der Pastapolitik - der schwarz-grünen Perspektiven - zumindest für eine gewisse Zeit.

Sonntag, 17. Oktober 2010

Stuttgart - das Ende einer Liebe?

München. Stuttgart ist für niemanden eine Liebe auf den ersten Blick. Zu sehr leidet die Stadt an ihrer Lage und an den Bausünden der Vergangenheit. Zu sehr trifft einem die Zurückhaltung der Schwaben. Stuttgart ist jedoch viel besser als der erste Blick verspricht. Dynamisch, kultiviert, imponierend und innovativ. Doch sie bleibt die große Unbekannte unter den deutschen Städten.

Selbst für die, die den zweiten Blick wagten und das erkannten, präsentiert sich Stuttgart in diesen Tagen als unbekannte Größe. Stuttgart ist wie jede Stadt nur die Summe ihrer Bürger. Keine der oben genannten Attribute scheint mehr zu passen, allen voran Innovationsfreunde des "Wir können alles. Außer Hochdeutsch." ist nicht mehr präsent.

Doch wer die Proteste gegen Stuttgart 21 rein auf die technischen Belange reduziert greift zu kurz. Vielmehr scheinen die Bürger gegen die Politik unisono aufzustehen oder vielmehr gegen die Politik der jüngeren Vergangenheit. Zu sehr sind wir alle von den Entscheidungen der letzten zwei Jahre beeindruckt. Die Regierungen dieser Welt haben in großer Eintracht scheinbar schlimmeres verhindert - doch zu welchem Preis?

Vermutlich ist der Vertrauensverlust der Bürger in ihre Institutionen und gewählten Vertreter der Preis für diese Rettung. Vor allem die Union muss diesen Preis nun bezahlen. Sie hat ihre Legitimation aus den Wahlen bezogen mit dem Ziel Wohlstand und Gesellschaft zu bewahren und zu schützen. Die Demokratie, aber auch die Rechtstaatlichkeit als Teil der Demokratie, zu erhalten gehört auch dazu - sie macht unsere Gesellschaft aus. Die Union hat es nicht geschafft dieses zu vermitteln.

Stuttgart und die dortigen Verantwortlichen in Stadt, Region und Land zahlen nun auch diesen Preis. Sie bezahlen mit ihrer möglichen Abwahl. Und natürlich zahlen die Bürger und Freunde dieser Stadt. Sie werden lange die Folgen dieses Streits ertragen müssen. Und hierin liegt durchaus die Sorge begründet die Michael Klett in folgendem Satz formulierte.

"Vielleicht ist meine Liebe zu diesem Ort mit diesem Gefühl der Gefährdung noch größer geworden, aber zugleich werde ich das Unbehagen nicht los, dass Stuttgart für mich die Geborgenheit zu verlieren droht, derentwegen Städte gegründet wurden und werden und die ein gut geordnetes, intaktes Gemeinwesen gewährleistet muss."

Mehr ist nicht zu sagen - wer mich kennt weiß, ich liebe diese Stadt und teile heute Kletts Unbehagen.

Mittwoch, 19. Mai 2010

Talente gesucht...

München. Die Politik hat in der Wirtschafts- und Finanzkrise unmögliches geleistet. Selbst die größten Staatskritiker bestätigen dies. Die Sorge bleibt jedoch, ob der Staat die Kraft hat, sich wieder zurückzuziehen, um die gewonnene Macht und den Einfluß zurückzugeben.

Wann der Staat sein Engagement reduzieren muss ist nicht klar, dass er dies tun muss dagegen schon. Der Staat ist unfähig den Wohlstand seiner Bürger zu mehren oder überhaupt zu erwirtschaften, bestenfalls kreditfinanziert kann er diesen für seine Bürger und einige Zeit erkaufen. Griechenland ist genau daran gescheitert.

Diese Erkenntnis scheint jedoch nicht jedem klar zu sein. Obgleich viele bereit sind, einen starken Staat zu akzeptieren, muss jetzt die Zeit visionärer Politik sein, die über den Tag hinaus denkt. Wenige Beispiele sind hierfür zu finden. Allzu einfach ist es dem Populismus der Linken hinterherzulaufen und mit ihm wettzueifern. Ein gerade zu tragisches Beispiel bietet die CSU. Kaum ist die Erfolgsgeschichte Bayerns mit unwesentlichen Kratzern versehen, stellt die Parteiführung alles in Frage, was in den letzten Jahren unanfechtbar war. Der wirtschaftliche Sachverstand reicht kaum über den nächsten Wahltermin hinaus. Niemals hat die Partei Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber mehr gebraucht. Talente werden drigend gesucht...

Sonntag, 11. April 2010

Anne Will sollte zurücktreten

München. Öffentlichkeit und Medien gleichermaßen sind schnell bei Rücktrittsforderungen an Politiker. Dabei ist Amtsmüdigkeit ein viel häufigeres Argument als Ideenlosigkeit oder beide werden häufig gleich gesetzt. Umgekehrt ist diese Forderung selten oder gar nie zu finden. Dabei sind freie Medien in einem demokratischen Staatsgebilde absolut notwendig, ja erhalten sie sogar einen verfassungsmäßigen Rang und damit auch Verantwortung für die Entwicklung des Staates.

Besonders die öffentlich-rechtlichen Medien haben hier eine hervorragende Stellung. Gebührenfinanziert dürfen, ja müssen sie vielleicht sogar für programmatische Vielfalt und Beiträgen zur politischen Willensbildung und Diskussion unabhängig der regierenden Colour sorgen. Dies ist ihre Aufgabe und gleichzeitig der eigene Anspruch.

Was aber, wenn diesem Anspruch nicht genüge getan wird? Was aber, wenn der Unterschied zwischen öffentlich-rechtlich und privat nicht mehr erkennbar ist?

Eine einfache Antwort auf diese Frage kann es nicht oder zumindest nicht an dieser Stelle geben. Vielmehr sollte der eigene Anspruch rechtzeitig den korrekten Weg zeigen. Anne Will ist das aktuelle Mustbeispiel: in den letzten sechs Wochen wurden mindestens dreimal Themen diskutiert, die bestenfalls der Quote geschuldet waren. "Sind wir noch Papst", die Reisebegleitung Westerwelles und die bösen Banker sind Themen des Boulevards, nicht aber Themen die für die politische und gesellschaftliche Meinungsbildung entscheidend sind. Wer über den Missbrauch in der Jugendarbeit reden möchte, möge das Thema benennen und nicht fragen, ob "wir noch Papst" sind. Wer fragen will, welche Schritte in der Finanzkrise nun notwendig sind, möge das adressieren und nicht unbekannten und höchst dubiosen Gestalten des grauen Finanzmarkts Plattformen bieten. Und wer über die Reisebegleitung des Außenministers sprechen möchte ist in der NDR-Talkshow gut aufgehoben. Liebe Frau Anne Will, die ARD wird 60 und bietet unendlich viele Plattformen, die besser geeignet sind. Dem Gebührenzahler und mündigen Bürger und Ihrem eigenen Anspruch schulden Sie etwas mehr. Wenn Sie das nicht können - sollten Sie zurücktreten.

Sonntag, 7. März 2010

Verstimmungen

München. Mit „In der Koalition wird zu viel herumgequatscht“ zitierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in ihrer heutigen Ausgabe den derzeitigen Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Das Zitat eignet sich hervorragend die MAINung der Woche, nichtssagend überschrieben mit "Verstimmungen", einzuleiten - dreht sich das Thema doch zum wiederholten mal um den Fehlstart der Koalition.

Tatsächlich können zwischenzeitlich nicht einmal mehr die Generalsekretäre und Vorsitzenden der Parteien die derzeitige Lage schön reden. Machen sie auch gar nicht. Vielmehr reden sie weiterhin mehr über sich als miteinander und tragen somit zu der derzeitigen medialen Schieflage bei. Kanzerlin Merkel kommt die NRW-Wahl gerade recht. Wie auch immer sie ausgeht - sie wird den Kompass der Koalition ausrichten. Verliert die derzeitige Koalition - ist die FDP geschwächt. Gewinnt sie - ist der Weg für Reformen und Steuersenkungen mit deutlicher liberaler Handschrift frei. Dabei ist es unerheblich ob der Bundesrat diese mitprägen kann oder nicht. Die Furcht weiterer Niederlagen wird den Verlierer treiben.

Vor allem für Westerwelle könnte es zur Schicksalwahl werden. Westerwelles politisches Programm ist auf die deutsche Innenpolitik ausgerichtet. Es war ein Fehler nach dem Außenministerium zu streben - vor allem vor dem Hintergrund, dass ein erfahrener Außenpolitiker bereit stand. Westerwelle ist kaum ministerabel - dazu ist zu sehr Generalist. Eine Unterordnung innerhalb einer Regierung passt eigentlich nicht zu ihm. Der Generalist hätte bestenfalls im Amt des Wirtschaftsminister Akzente setzen und seine Partei ordnen können. Schon einmal, Anfang der 90er, war der Wirtschaftsminister und nicht der Außenminister Vizekanzler. Er hieß damals Möllemann. Doch diese Entscheidung ist kaum zu ändern.

Gerade deshalb muss das Arbeitsverhältnis schnell auf eine ruhige Ebene zurückgeführt werden. Drigend müssen die Themen Gesundheitsversorgung, Rente und Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise unter dem Überthema demographischer Wandel zurück auf die Topplätze der Agenda. Schnellstens müssen die besten Köpfe der Republik Ideen hierfür präsentieren. "Macht Politik!" lautete vor Jahren die Foderung von Franz Müntefering. Gleiches gilt heute. Danach ist es auch wieder möglich sich mit dem politischen Gegner auseinanderzusetzen und der SPD die richtigen Fragen zu stellen, beispielsweise warum sie der Meinung ist, dass die Gesundheit eines Lagerarbeiters weniger wert ist - als die eines Topmanagers?

Diese und andere Fragen demnächst in der MAINung!

Sonntag, 14. Februar 2010

Chaostage

Frankfurt. Der Zustand der Koalition ist alles andere als zufriedenstellend. Die Familienministerin Schröder beschrieb es zutreffend mit dem Hinweis, die Koalition sei wie jede Beziehung, nach 100 Tage finde man die Fehler des anderen langsam liebenswürdig. Doch die Traumhochzeit machte ursprünglich Hoffnung auf mehr. Was lief schief in den ersten 100 Tagen?

Tatsächlich sind viele Probleme der Koalition nicht hausgemacht. Der Streit über den Ankauf der Steuersünderdateien ist verständlich, kam aber zur Unzeit. Die aktuelle tagespolitische Großwetterlage zwingt die Partner letztlich zum Streit, wenn keiner die politische Grundüberzeugung verleugnet. Alles andere wirkt unprofessionell. Viele Probleme waren aber als Fragestellungen auch lange bekannt und wären frühzeitig in den Koalitionsverhandlungen lösbar gewesen. Tatsächlich erinnern viele öffentliche Aussagen und Interviews an den Jahreswechsel 1998/1999 und die rot-grünen Chaostage. Klar ist doch - ein oppositioneller Masterplan ist nicht in einer Koalitionsregierung hundertprozentig umsetzbar. Aber auch die Union muss sich fragen, weshalb sie erwartete, nach dem Koalitionswechsel bliebe alles wie gehabt! Tatsächlich hat Kristina Schröder recht - eine Koalition ist wie eine Beziehung: Nach der Liebesheirat kommt der Alltag und in diesem ist Geben und Nehmen das Gebot der Stunde. Ein Rückblick zu den chaotischen Zuständen in der ersten Regierung Schröder lohnt und ist lehrreich!

Freitag, 5. Februar 2010

Felix Confoederatio Helvetica

Zürich. Die Schweiz war lange Zeit eine Insel des Glücks in Europa. Doch in der jüngeren Vergangenheit haben viele Rückschläge die Eidgenossen im Mark getroffen. Grund bei einem Besuch einen genaueren Blick zu wagen.

Das neue Jahrtausend begann mit dem Zusammenbruch der Swissair. Die Finanzkrise brachte für die UBS schlechte Schlagzeilen. In der jüngeren Vergangenheit haben die Steueramnestie Italiens und eine französische Steuersünderdatei dem Bankenplatz weiter zugesetzt. Die Drohungen des ehemaligen deutschen Finanzminister Steinbrück haben ebenso zu Verstimmungen in Bern gesorgt, wie die Versuche der EU die Schweiz stärker zur Zusammenarbeit bei Steuerdelikten zu zwingen. Das Bankgeheimnis ist den Schweizern heilig und scheint für viele Grundlage des anhaltenden wirtschaftlichen Erfolges.

Der jüngste Rückschlag für die Schweiz ist der Kauf der Steuersünderdatei durch Deutschland. Doch im Gegensatz zu früher ist die eidgenössige Haltung zurückhaltend. Finanzminister Schäuble und sein Kollege aus Bern haben sich rechtzeitig ausgetauscht und beiderseitig auf Kampfrethorik verzichtet. Auch die Medien zeigen sich zurückhaltend. Natürlich begrüßt keine Zeitung aus der Schweiz den Kauf, doch lediglich die konservative "Blick" erinnert provozierend an CDU-Schwarzgeldkonten und die Verwicklung Schäubles in die damalige Spendenaffäre. Die NZZ kommentiert bereits das Umdenken von Finanzminister (Bundesrat) Merz.

Industrie und Finanzsektor fördern dieses Umdenken. Für die Industrie ist ein schneller Abschluss des Doppelbesteuerungsabkommens mit dem wichtigen Handelspartner Deutschland entscheidend. Die Banken haben erkannt, dass sie aus der Misere nur herauskommen, wenn sie aktiv gegensteuern. Dabei ist die Ausgangslange denkbar günstig. Nirgendwo sonst auf der Welt ist Fachwissen innerhalb der Verwaltung großer Vermögen so gebündelt vorhanden wie in der Schweiz, in Zürich und Genf. Das Leistung überzeugen kann zeigt nicht zuletzt die hohe Industriedichte im Hochlohnland Schweiz.

Die Schweiz bleibt eine Insel des Glücks. Eine Schweiz, die auf Zusammenarbeit und Leistung setzt, muss sich vor der Zukunft keinesfalls fürchten.

Sonntag, 31. Januar 2010

Steuersünder

Frankfurt. Nichts kommentierten die Gazetten am Wochenende so stark, wie die Kaufoption des Finanzministers. Darf er, soll er oder muss er gar die Datei der Steuersünder kaufen. Die Schweiz ließ keinen geringeren als ihren Verteidigungsminister zum verbalen Gegenschlag ansetzen, Sigmar Gabriel stand pflichtgemäß auf der Seite der ehrlichen deutschen Steuerzahler. Dabei zeigt gerade er einmal wieder, wie kurzsichtig politisches Handeln ist. Außer Frage steht, dass weder die Steuerhinterziehung noch der Datenklau rechtens sind. Die Daten müssen am Ende in Schäubles Ministerium, der Dieb gehört international verfolgt und hart bestraft. Es ist nicht die Frage welches Verbrechen schwerer wiegt - Justitia darf dies nicht einmal in Ansätzen die Waage beeinflussen lassen. Politisch stellt sich an dieser Stelle doch die Frage - warum hinterziehen trotz harter Strafen und abschreckender Beispiele immer noch so viele Menschen ihre Steuern? Ist unser System noch gerecht?

Eigentlich steckt in dieser Frage viel mehr. Sie beinhaltet gleichzeitig die Frage, warum brauchen wir wirtschaftliches Wachstum und warum brauchen wir wirtschaftlichen Erfolg?

Es ist wichtig festzustellen, dass das deutsche Steuersystem insich gerecht ist. Es versucht im Steuersystem einen Interessensausgleich zu schaffen zwischen Viel- und Geringverdienern. Diese Gerechtigkeit stößt aber an Grenzen, vor allem wenn die linke Forderung aufkommt, das System möge mehr leisten, es möge Reichtum für alle ermöglichen. Dieser Wahlkampfschlager zeigt die gesamte Bandbreite des ökonomischen Unverständnisses. Reichtum für alle bedeutet nichts anderes als alle gleich arm.

Da das Steuersystem den Insich-Ausgleich nicht leisten kann, muss es radikal geändert werden. Vielmehr noch: da das gerechte deutsche Steuersystem international offenbar nicht wettbewerbsfähig ist, muss es geändert werden. Dabei ist eine Steuersenkung zunächst nicht zwingend. Vielmehr muss das Ziel verfolgt werden, alle steuerlichen Anreize zu beseitigen, die immer an anderer Stelle einen Ausgleich erzwingen und Handeln unter nichtökonomischen Gesichtspunkten ermöglichen.

Warum aber ist Reichtum und Wachstum gut und wichtig? Die Beantwortung des zweiten Teils der Frage ist einfach: Wer nicht nur auf die Frage fokussiert ist, wie ist der Wohlstand gerecht zu verteilen, sondern vielmehr wo kommt er her, findet die Antwort sofort. Wachstum ist notwendig um das Verteilen zu ermöglichen. Das vergangene Jahr zeigt, was die Folgen des Nichtwachsens sind. Warum ist aber Reichtum notwendig. In vieler Hinsicht ermöglicht nur Reichtum das Eingehen von Risiken, anders formuliert die Gründung neuer Unternehmen, Forschung und Entwicklung sowie Produktion. Der Staat kann dies niemals ersetzen bestenfalls begünstigen. Der Staat ist niemals der bessere Unternehmer, das zeigte doch gerade die bankrotte DDR!

Wohlstand für alle bedeutet immer auch Reichtum für wenige. Der Staat kann das Ziel "Wohlstand für alle" unterstützen indem er einfache und transparente Steuerregeln schafft und um ein Zitat von Lothar Späth aufzugreifen sich im Unternehmertum um die Babys, die jungen Unternehmen, und nicht um die Greise kümmert.

Donnerstag, 28. Januar 2010

Madrid – Die Spanier leiden leise

Madrid. Die spanische Kapitale zählt aus deutscher Sicht zu den großen, unbekannten europäischen Hauptstädten. Für Städtereisen werden London, Rom, Paris oder Wien präferiert. Auch in der Politik ist Madrid nicht in der ersten Reihe zu finden. Spanien zählt weder zu den G8 noch zu den G20 (offiziell) und wird medial kaum beachtet. Aktuell ist dies anders. Sorgenvoll schrieb jüngst Die Zeit über den spanischen Defizitsünder und malte apokalyptische Szenarien für den Mittelmeerraum. Doch wie bewerten die Spanier selbst den drohenden Absturz – ein Blick nach Madrid hilft dabei.

Die Stadt im Zentrum Spaniens ist mit Abstand die größte Metropole der iberischen Halbinsel. Sie zählt über 3,1 Mio. Einwohner, mit Vorstädten rund 6,0 Millionen, Tendenz steigend. Zur Vollständigkeit sei erwähnt, dass die Infrastruktur vorbildlich, die Stadt enorm sauber und für Kunstliebhaber überaus attraktiv ist. Tausende von Cafés und Bars sind in Madrid zu finden, die den Lebensrhythmus prägen. Die Arbeitslosenstatistik weist für das gesamte Land eine Quote von über 20%, mancher neigt sogar zu der Feststellung jeder vierter Spanier sei ohne Arbeit. In Madrid ist Lage freilich etwas besser, dennoch viele klagen über niedrige Einkommen und hohe Lebenskosten. Tatsächlich übertrifft das Preisniveau die spanische Provinz und den deutschen Vergleichsmaßstab bei weitem. Preistreiber war die atemberaubende Aufholjagd der spanischen Wirtschaft seit 1995. Sie löste die Abhängigkeit vom Tourismus, brachte aber zeitgleich eine neue Abhängigkeit. Betongold sei hier das Stichwort: nicht neue Technologien, Branchen oder Unternehmen sondern der kreditfinanzierter Bauboom ist Fundament des Erfolgs – der Krise. Die Spanier sind privat verschuldet. Der enorme Konsumhunger hat diese Situation eher verschlimmert.

Doch wie läuft die Anpassung in der Krise? Rabattschlachten sind ein Beispiel. Um die Kauffreude anzureizen werden in den Wochen nach Weihnachten Rebajas (Rabatte) vergleichbar mit dem ehemaligen Winterschlussverkauf durchgeführt. In diesem Jahr fielen die Diskonte noch höher aus als üblich, um die Lager zu räumen. Cafés und Bars sind unter der Woche leer, schließen teilweise vor Mitternacht, eine für normale Verhältnisse absolut untypische Uhrzeit. Restaurants und Bars offerieren unter der Woche Kampfpreise – Cocktails zur Hälfte oder einem Drittel sind üblich – drei Gänge für 10 EUR zu haben. Selbst die amerikanischen Filialisten haben sich angepasst und bieten den Burger der Woche für 2,50 EUR.

Die Madrilenen verhalten sich unterschiedlich. Ein großer Teil zeigt sich davon unbeeindruckt und bleibt zu Hause. Selbst die nicht direkt Betroffenen sparen. Häufig wird die freie Zeit genutzt um Englisch zu lernen. Die Nachfrage nach diesen Kursen erreicht ungekannte Höhen. Auch die Bereitschaft auszuwandern ist vergleichsweiße hoch. Absicherung bietet die Familie. Es ist ein stilles Leiden und wer fragt erfährt, dass die Stadt anders ist als in den vergleichbaren Jahreszeiten der Vorperioden. Das andere Bild ist weniger schön. Unabhängig von der zweifelsfrei vor allem in der Lotterie dokumentierbaren Spielfreude der Spanier, sind in Madrid und anderorts hunderte von Glücksspielhallen zu finden, in denen inzwischen 24 Stunden Betrieb und Nachfrage herrscht. Goldhändler bieten fast aufdrängend ihre Dienste an, Gold in jeder Klasse anzukaufen.

Die Krise hat Spanien verändert – doch das leise Leiden der Spanier kann auch eine Chance sein.

Samstag, 23. Januar 2010

Oskar. Banken. Klientelpolitik.

Madrid. Der Kommentar der Woche ist diesmal schwierig. Die Auswahl der Themen reichen von Oskars Rückzug, über Obamas und neuerdings Merkels Bankenpläne bis hin zur modernen Klientelpolitik. Doch vielleicht ist alles ganz einfach. Ein Zwischenruf zu Oskar Lafontaine scheint ausreichend!

Oskar Lafontaine ist ein Meister der medialen Darstellung. In den vergangenen Wochen ließ er ungeliebte Gegner medial entmündigen, streute Spekulationen über seine Rückkehr in die Bundespolitik, eroberte die linke Themenhoheit mit einem provinziellen Auftritt und ließ seinen Rückzug aus der Bundespolitik gebührend feiern, inkl. Drohungen seiner Mitstreiter ein Verzicht auf den Vorsitz sei nicht das Ende seiner Ideen und seines Einflusses. Dabei ist sein Erfolg auf eine reine Klientelpolitik alter Schule aufgebaut. Der Chor derer, die den Verfall der SPD mit dem Weggang Oskars begründen, ist nicht klein. Sie irren aber. Den nur die Schröderschen Orientierung zur Mitte, gleiches gilt für Helmut Schmidt und Willy Brandt, machten die SPD außerhalb ihrer Klientel wählbar. Oskar Lafontaine machte stets Politik mit Feindbildern.

Nur wo er dies nicht ausschließlich tat, war über die Parteigrenzen geachtet und erfolgreich. Seine Zeit als Saarbrücker Oberbürgermeister wird von den meisten dort lebenden Bürger geschätzt. Lafontaine, der stets angab in seinen Überzeugungen Gaullist zu sein, machte danach Politik für seine Klientel, die sich stets aus unterschiedlichen Richtungen kommend hinter ihm einten.

Lafontaine ist ein Machtmensch, mit großem politischen Gespür für seine Klientel und dem dazugehörigen Durchsetzungswillen. Daher ist völlig klar, weshalb er 1999 zurücktrat und weshalb er auch zum Feinbild vieler wurde. Gaullist ist vor allem deshalb, weil seine Art der Politik nur gemäß de Gaulles Staatsidee, in Frankreich verwirklicht, durchzusetzen ist.

Doch Lafontaine, von britischen Medien als gefährlichster Mann Europas bezeichnet, lag oftmals falsch und häufig unverbesserlich daneben. Mancher Ökonom ergraute bei Lafontaines stetiger Forderung die unabhängige EZB zurück in die politische Abhängigkeit zu führen und die amerikanische Politik des billigen Geldes in Europa zu übernehmen, um Wachstum und Beschäftigung nachhaltig anzuregen. Die Teilverstaatlichung privater Banken war eine später eingefügte Forderung. Unbestreitbar ist, dass die amerikanische Notenbank mit der Politik des billigen Geldes die heutige Wirtschaftskrise verursachte. Diese Wahrheit ist so selten publiziert, weil sie eine hohe Mitverantwortung der politisch Verantwortlichen in den USA bedeutet. Die EZB hat dieser Verlockung stets wiederstanden und ihre politische Unabhängigkeit verteidigt. Dabei hat sie mäßigend gewirkt und die Kreditvergabe nicht unnötig angereizt. Wäre Lafontaines Forderung umgesetzt, wäre der Untergang des Abendlandes besiegelt. Von seinen Forderungen sind heute übrigens nur noch die Verstaatlichungen des Bankensektor und die politische Einflussnahme auf die EZB, derer sich neuerdings auch Andrea Nahles anschließt, übrig. Die alten Ideen sind in jedem seiner Bücher und Leitartikel nachlesbar. Bis heute schuldet er jedem mündigen Bürger die Erklärung - warum staatliche Banken doch pleite gehen können - und was die Politik des billigen Geldes für Europa wirklich bedeutet hätte.

Herr Lafontaine, sicherlich finden Sie zukünftig genug Zeit diese Fragen in einem Buch umfangreich zu beantworten!

Sevilla und die Gretchenfrage

Sevilla. Die Hauptstadt der Autonomen Region Andalusien ist mit rund 700.000 Einwohnern die viertgrößte Stadt Spaniens. Wer sich der Stadt nähert muss aus einem politischen Blickwinkel zwei Fragen stellen. Die Frage nach der wirtschaftlichen Potenz ist dieser Tage überall angebracht. Darüber hinaus ist hier der ideale Punkt um Spanien die Gretchenfrage zu stellen.

Die Stadt im Süden der iberischen Halbinsel kann auf eine über zweitausendjährige Geschichte zurückblicken. Römer und Katharger siedelten hier, später im 8. Jh. n. Chr. eroberten die islamischen Mauren die Stadt und prägten sie über 500 Jahre. Ferdinand III von Kastilien, in der Stadt allgegenwärtig, eroberte Sevilla 1248, das in der Folgezeit zu einem christlichen Bollwerk ausgebaut wurde. Die Entdeckung Amerikas führte Sevilla zu neuer Blüte. Ab 18. Jh. n. Chr. endete diese Phase und küstennahe Städte wie Cadiz profitierten zunehmend durch ihre Überseehäfen.

In Spanien die Frage nach der Religöisität zu stellen klingt zu zunächst rethorisch. Selbstverständlich sind die Spanier überwiegend katholisch. Doch gerade Sevilla ist passend um einen genaueren Blick zu wagen. Die Stadt verfügt über den flächenmäßig größten Kathetralbau der Welt, der auf den Überresten einer Moschee erstellt wurde. Die tiefe Verwurzelung der Stadt im katholischen Glauben ist überall sichtbar und wird besonders in den Prozessionen der Karwoche deutlich. Sevilla bildet keine Ausnahme in Spanien, aber auch nicht die Regel. Tatsächlich sind nahezu alle Spanier katholisch, aber die strenge Auslegung ist nicht mehr weit verbreitet. Die Großstädte kennzeichnet eher eine liberale Bewegung mit Kritik an der Kirche. Konflikte zwischen der Regierung und der Kirche sind gleich an zwei Fronten dokumentierbar. Zum einen die Liberalisierung der Abtreibungsgesetze, zum anderen die Aufarbeitung der Franco-Diktatur. Spanien hat seinen Weg in die Demokratie ohne Blutvergießen beschritten, verarbeitet wurden die die Diktatur nie. Das liegt zum einen daran, dass der amtierende König von Francos Gnaden ist und zum anderen die gesellschaftliche Verpflechtung dieses fast vierzig Jahre andauernden Regimes enorme Tiefe hat. Erst seit 2007 gibt es eine offiziellen Regierungskommission, die sich mit der Aufarbeitung dieser Zeit beschäftigt. Spanien ist in vielen Punkten mit den späten Sechzigern, frühen Siebzigern in Deutschland vergleichbar. Kluge politische Entscheidungen könnten nötig sein um Spanien eine 68er-Bewegung zu ersparen. Dazu muss jeder in Spanien seinen Beitrag leisten. Die Überwindung der wirtschaftlichen Misere ist nur ein Teil der aktuellen Probleme.

Einfach ist die Überwindung der wirtschaftlichen Misere nicht. Dabei stellt sich in den Regionen und Städten abseits der Hauptstadt Madrid die Frage, ob eine vergleichbare Infrastruktur vorhanden ist. Sevilla verfügt zweifelsfrei über diese. Seit der Weltausstellung 1992 ist die Stadt durch eine Hochgeschwindigkeitstrasse direkt mit dem Zentrum von Madrid verbunden. Der historische Stadtkern ist vom Streckverlauf ausgenommen. Der Fernbahnhof liegt innenstadtnah und der Verkehr fließt in einem Tunnel ab. Sevilla ist sehr touristisch, verfügt aber über eine moderne Infrastruktur. Die Investitionen von 1992 haben das Stadtbild nachhaltig geprägt. Neben Bussen fahren moderne Straßenbahnen, eine U-Bahn-Linie geht 2010 ans Netz und verbindet den Stadtkern mit den äußeren Bezirken. Die beiden Universitäten haben in Spanien einen hervorragenden Ruf. Die ehemals von der Tabakindustrie geprägte Stadt hat sich zum spanischen Zentrum der Luftfahrtindustrie entwickelt. EADS unterhält hier ein Werk - Zulieferberiebe haben sich angesiedelt. Der internationale Flughafen gewährleistet ein direkte Anbindung nach Madrid und Barcelona und unterstützt dank der zahlreichen Billigflieger den steten Zustrom an Touristen. Trotz der nach wie vor hohen Bedeutung des Tourismus vermittelt Sevilla keinesfalls den Eindruck einer Fokussierung auf diesen. Die Stadt hat die Hausaufgaben gemacht, um die wirtschaftliche Misere zu überwinden. Sie steht damit lediglich in Konkurrenz mit vielen anderen spanischen Großstädten für die gleiches gilt!

Freitag, 22. Januar 2010

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?

Heike Birlenbach, Lufthanseatin par excellence, betritt den Vorlesungssaal der EBS in Oestricht-Winkel. Die technischen Herausforderungen mit der Präsentationstechnik sind schnell überwunden, der Vortrag kann pünktlich beginnen. Begeistert geht sie in medias res und erzählt von ihrer Aufgabe, die ihr vor etwa einem Jahr übertragen wurde: Die Leitung der Lufthansa Italia.

In gesamtwirtschaftlich schwieriger Zeit ging die neue Airline im Februar 2009 an den Start. Eigentlich sind das Tage, an denen so manche Gesellschaft den Flugbetrieb eher einstellt, als nach Expansionsmöglichkeiten zu suchen. Erlösverfall, harte Konkurrenz und hohe Kosten bilden den ökonomischen Rahmen. Doch der Newcomer hält sich verdächtig lange auf dem umkämpften norditalienischen Markt. Dem ungeachtet wächst die Flotte auf bislang acht Flugzeuge, zehn Destinationen werden von der Heimatbasis Mailand aus angeflogen. Im Sommer sollen sogar noch einige dazu kommen und die Anzahl der Frequenzen, insbesondere nach Paris und London, erhöht werden. Ein betriebswirtschaftliches Wunder? Vielmehr das strategische Interesse eines großen Luftverkehrskonzerns.

Mailand, die zweitgrößte Stadt Italiens, liegt in der Region Lombardei. In der Metropolregion leben fast acht Millionen Menschen, ein Mekka für Wirtschaft, Kunst und Kultur. Mit ihrer deutschen Partnerstadt Frankfurt am Main teilt sie darüber hinaus noch eine wesentliche Eigenschaft: Sie ist wichtiger Verkehrsknotenpunkt des Landes. Prinzipiell lässt dies auf ein hohes Marktpotential für Fluggesellschaften schließen. Nach den anhaltenden wirtschaftlichen Problemen und dem schließlich eingeleiteten Rückzug des Platzhirschs Alitalia eröffneten sich Wachstumspotentiale. Die Strategen der Lufthansa hatten zwei Optionen. Sie hätten sowohl die Lufthoheit über einem der wichtigsten und kaufkraftstärksten Räume der Europäischen Union den EasyJets und Ryanairs dieser Welt überlassen, als auch auf ein Wiedererstarken von Alitalia warten können. Sie entschieden sich allerdings für den Fuß in der Tür, auch unter widrigen globalen gesamtwirtschaftlichen Bedingungen. Der Markteintritt zu diesem Zeitpunkt war also die logische Konsequenz.

Heike Birlenbach muss nun die Überlegungen der Konzernstrategie in die Tat umsetzen. Sie zeigt sich stolz auf ihre bisherigen Ergebnisse. Deutsche Sekundärtugenden und die Bekanntheit der Marke Lufthansa, verbunden mit italienischem Flair und Lebensart. Ein Spagat, wie sie dennoch zugibt, ist es allemal. Reicht es aus, eine Espressomaschine an Bord zu installieren, die Trikolore Grün-Weiß-Rot in das Kabineninterieur einzubinden oder rein italienischsprachige Flugbegleiter einzusetzen, um betriebswirtschaftlich erfolgreich zu sein? Sitzladefaktoren „um die 60 Prozent“ müssen auf schlanke Kostenstrukturen treffen, um an schwarzen Zahlen überhaupt denken zu dürfen. Das weiß auch Birlenbach. Auf die Frage nach den noch unklaren arbeitsrechtlichen Regelungen und den Auseinandersetzungen mit der Vereinigung Cockpit, die den italienischen Kranich lieber nie hätten abheben sehen, gibt Birlenbach eine kuriose Antwort. Die Airline sei noch so klein und familiär strukturiert, dass sie mit jedem Mitarbeiter, der ein Problem habe, gerne auch persönlich diskutieren könne. Ein ambitioniertes personalpolitisches Vorhaben. Selbst für eine noch junge Fluggesellschaft.

Im Marketing hingegen setzt sich Lufthansa Italia von der deutschen Mutter deutlich ab und beschreitet neue Wege. „All you can fly“ heißt das Produkt, und der Name ist Programm. Einen ganzen Monat kann der Passagier in der Economy Class für 399 € soviel durch das Streckennetz fliegen, wie er möchte. Ein verlockendes Angebot, sicher nicht nur für Geschäftsreisende. Mit „Guerilla-Aktionen“ machen die kleinen Italiener auch auf sich aufmerksam. Sie verteilen Flugblätter in der milanesischen Innenstadt, hängen Banner auf oder unterbreiten den Fans von Inter und AC spezielle Fußballangebote. Das Internet bildet erwartungsgemäß den wichtigsten Distributionskanal. Birlenbach argumentiert, sie habe hier die Freiheit und Möglichkeit neue Wege auszuprobieren. Ein Umsteuern mit dem großen Kahn „Lufthansa Passage“ sei viel behäbiger und kostet Zeit. Die hat man bekanntlich im Airline-Business auch nur bedingt. Noch ist Lufthansa Italia eine Division der Passage Airline der Mutter. Ein eigenes Luftverkehrsbetriebszeugnis (AOC – Air Operator Certificat) wird gerade beantragt, um zukünftig komplett auf eigenen Füßen zu stehen.

Ein eigener Betrieb kann aber nur unter gesunden ökonomischen Bedingungen bestehen. Mittelfristig ist es der richtige Weg, Punkt-zu-Punkt-Verkehre in die anderen wichtigen europäischen Metropolen mit hoher Frequenz anzubieten. Langfristig würde es allerdings Synergien heben, Mailand an die konzerneigenen Drehkreuze, allen voran München und Zürich anzubinden. Beide liegen weniger als eine Flugstunde jenseits der Alpen, dies eröffnet dem Kunden ein weltweites Streckennetz innerhalb der Star Alliance. Die LH-Konzerntochter Air Dolomiti, die dieser Aufgabe derzeit nachkommt, könnte auf längere Sicht der jüngeren Schwester Stecken abgeben, soweit sich dies durch günstigere Produktionskosten empfiehlt. Es stellen sich demnach die Fragen, wie lange Lufthansa bereit ist, in das Projekt zu investieren, ob es ihnen gelingt, die kaufkräftigen Norditaliener von dem Produkt zu überzeugen und ob die Strukturen der LHI auch in Zukunft die Bezeichnung„low cost“ verdienen? Überzeugungsarbeit ist folglich an so mancher Stelle von Birlenbach und ihren Mitarbeitern zu leisten. Ob es eine Blaupause für ein weiteres Auslandsengagement bietet, zeigt nur die Zeit. Bleibt zu hoffen, dass der gelb-blaue Geldhahn nicht abgedreht wird, bevor sich das Projekt „Lufthansa Italia“ beweisen kann.

Montag, 18. Januar 2010

Grünes Miltenberg – Schläge zum 30. Geburtstag?

Ein runder Geburtstag – ein Grund zum Feiern! 30 Jahre werden Die Grünen in diesen Tagen. Ein Grund zum Feiern? Die Berichterstattung zu diesem Ereignis ist oft von der bewegten Geschichte dieser politischen Gruppierung geprägt: Die unangepasste Anti-Parteien-Partei von einst hat sich heute merklich in den Münchner, Berliner und Brüssler Parlamentsbetrieb eingepasst. Ein Grüner im feinen Zwirn ist selbst in den eigenen Reihen nichts Ungewöhnliches mehr, die politische Meinung geht heuer auch weit über die Anfänge der Umwelt- und Friedensaktivisten hinaus. Ein bemerkenswerter Entwicklungsprozess.

Zum Wiegenfest der Bundespartei frug ich mich, wie es denn eigentlich um den Bündnisgrünen Kreisverband in Miltenberg stünde? Ein Blick auf die Homepage ergab keine Hinweise auf exzessive Partystimmung des heimatlichen Verbandes. Dafür stöberte ich mit einer Mischung aus Interesse und Verwunderung durch die Texte. Sitzungsprotokolle aus verschiedenen Verbandsebenen sind öffentlich zugänglich hinterlegt. Eine transparente Informationspolitik spricht ja zunächst einmal nicht gegen den politischen Wettbewerb. Die eine oder andere Passage ließ meine Mitfeier-Laune dann doch erheblich schwanken.

Auf der im alten Jahr abgehaltenen Kreisversammlung im Obernburger Karpfen berichtet beispielsweise der Aschaffenburger Landtagsabgeordnete Thomas Mütze über die BayernLB und deren unglückliche Übernahme der Hypo Group Alpe Adria (HGAA). Dies scheint allerdings nur einer der Punkte zu sein, warum man auf die regierende Partei nicht so gut zu sprechen ist. Sogar etwas schadenfroh wird protokollarisch festgehalten, dass „Roland hofft, dass das Image der CSU endlich Mal nachhaltig beschädigt bleibt“. Der darf aber auch mal ordentlich wettern, denn „Sylvia bedankt sich an dieser Stelle ganz herzlich bei Roland, da er als einziger die Zeit gefunden hat für den Nichtraucherschutz plakatiert hat“. Wer sich an dieser Stelle allerdings über meine Zitierfertigkeiten wundert, dem darf ich die wortwörtliche Übernahme des vorangegangenen Zitats versichern, mit dem ich zumindest sachlich d´accord gehe. Ein Glück erhält das bürgerliche Lager alsbald Hilfe! Denn gleich unterhalb lese ich weiter – ohne, dass mir der Zusammenhang sofort ersichtlich wird – über eine sicher gut gemeinte Unterstützung: „Die FDP und die CSU scheinen nicht ganz so toll zu harmonieren. In Sachen Wirtschaft gibt es ständig Reibereien und Neckereien. Thomas hatte sich mit der BI in Kleinheubach getroffen. Diese wollen sich noch entscheiden, ob sie eine Petition einreichen wollen und setzen sich ggf. mit uns wieder in Verbindung“. Klasse, die Solidarität gilt offensichtlich auch gegenüber den Konservativen. Geburtstagsfreude pur!

Der Grund, warum die Miltenberger Grünen den 30. Geburtstag nicht mitfeiern wird sofort deutlich, als ich über das ergreifende Schicksal von Sinan und die Umstände um den Bundesdelegiertenkongress (BDK) lese: „2. Bericht BDK in Rostock entfällt, da der Delegierte Udo Hawlitschek nicht anwesend ist. Jochen war als Ersatzdelegierter nicht hingefahren. Der Ersatzdelegierte Sinan wurde damals kurzfristig von Sylvia und Steffi zum zu Haus bleiben aufgefordert, da Sinan weder über den Zeitpunkt der Bahnfahrt informiert worden ist, noch ein Zimmer für ihn reserviert worden war. Die Sprecherinnen wollten Sinan nicht zumuten ohne Zimmer „dazu stehen“. Es gab keinerlei Absprache zwischen den Delegierten, was sehr bedauerlich und ärgerlich ist“.

Der Bericht zum Landesdelegiertenkongress (LDK) verheißt auch keine Besserung. „Nachdem Jochen auch kurzfristig an der LDK nicht teilnehmen konnte, ist Sylvia eingesprungen, jedoch nur am Samstag, da eine so kurzfristige Umplanung bei ihr nicht möglich war. Sylvia hat unter anderem mit Theresa Schopper gesprochen und konnte diese für die geplante Podiumsdiskussion zum Thema Gesundheitspolitik gewinnen. Sie ist gerne bereit gegen Wolfgang Zöller CSU „anzutreten“ Der Samstagvormittag war geprägt vom Rückblick auf das Wahlkampfjahr 2009 und der landespolitischen Rede von Theresa Schopper sowie der bundespolitischen Rede von Claudia Roth.“ Wolfgang sollte sich warm anziehen. Das wird ein heißes Faustduell. Solche Handgreiflichkeiten kommen bei den eigentlich eher pazifistisch geprägten Grünen häufiger vor, als von mir gedacht: „Sonntags fand die Wahl der Landesvorsitzenden statt. Mit 138 Stimmen setzte sich Theresa Schopper gegen ihre Konkurrentin Jutta Deinbeck (99 Stimmen) durch. Frank wundert sich über das „abwatschen“ von Theresa“. Watschen werden also auch bei den Grünen direkt an der Wahlurne verteilt. Streitereien zum Geburtstag?

Überrascht las ich im Protokoll zum „Bürgerstammtisch“ des Grünen Ortsverbandes Obernburg einen weiteren kleinen Seitenhieb. Dieses Mal aber in Richtung der 4. Gewalt: „Ansgar schreibt dieses Mal keinen Pressebericht da er höchstwahrscheinlich nicht im Main-Echo veröffentlicht wird. (KV-Vorstand und KT-Fraktion waren über die Änderungen der Redaktion im Oktober von Presse informiert worden)“. Selbst die Kollegen aus dem linken Lager scheinen ihre Erfahrungen mit dem medialen Korrektiv der Gewalten gemacht zu haben. Diese Art der Resignation stimmt mich nicht beruhigt, sondern ich hege ein gewisses mitleidiges Verständnis für die von grüner Feder beschriebene Situation.

Eine Bemerkung aus dem Protokoll der Bezirksversammlung Ende November 2009 stimmt mich dann noch konzilianter. „Angenehm überrascht ist Hans-Josef über die Feststellung, dass Minister Röttgen GRÜNE Politik macht. Dies ist natürlich sehr erfreulich und positiv, birgt jedoch die Gefahr, dass GRÜNE Politik übernommen wird und wir somit überflüssig werden. Oder sollte damit „schwarz/GRÜN“ vorbereitet werden?? Wir müssen unser Profil stärken und uns klar absetzen! Auch Minister Brüderle wünscht sich angeblich 100% Erneuerbare Energien!“. Schön, dass man den Bürgerlichen eine nachhaltige Politik zutraut!

Genau wie Horst Seehofer der SPD bei seiner Wahl zu Ministerpräsidenten zu recht vorgehalten hat, dass es unzureichend und einer ordentlichen Opposition unangemessen sei, nur aus Zeitungsartikeln zu zitieren, nehme ich dies auch als Mahnung. In diesem Bewusstsein, lasse ich für heute das Zitieren aus Protokollen und will deshalb auch sehr versöhnlich enden. Die politische Meinungsvielfalt und das Ringen um den richtigen Weg gehören unabdingbar zur Demokratie. Ich freue mich auch in Zukunft auf die Diskussion mit den Grünen. Horst Seehofer beschrieb es deutlich: „Wir sollten nicht gegen den Diskurs sein. Der Diskurs ist notwendig, auch in der Kontrolle, auch wenn man den richtigen Weg finden will. Eines sollten wir uns gemeinsam für die Zukunft vornehmen, nämlich dass wir den Wettstreit mit Argumenten führen und nicht durch die persönliche Herabsetzung. Ich glaube (…) wenn wir uns nicht in erster Linie mit persönlichen Bewertungen, Geringschätzungen und Herabsetzungen beschäftigen, sondern mit dem Argument, dann werden wir gemeinsam dazu beitragen können, dass unser aller Ansehen, an dem wir alle parteiübergreifend Interesse haben müssen, in den Kreisen, denen wir unser Mandat verdanken – das ist der Souverän, das Volk – wieder zunimmt“. Da ich es mit Professor Dieter Weirich halte und keine Gegner, sondern nur kritische Partner kenne, gratuliere ich herzlich zum Geburtstag und bemühe mich als mein Geschenk um die besseren Argumente, keine Schläge!

Sonntag, 17. Januar 2010

Bundeskanzlerin a.D.

Madrid. Am vergangenen Freitag verbreiteten asiatische Wirtschaftsmedien und Nachrichtenagenturen das Gerücht, Angela Merkel stehe vor dem Rücktritt. Mitten in der Nacht spekulierten übereifrige Nachrichtenschreiber, die Kanzlerin sehe sich nach dem gescheiterten Start der Koalition, der Informationspolitik zum Thema Afghanistan und der internen Kritik zu diesem Schritt genötigt. Der Euro verlor daraufhin kräftig an Stärke. Die Welt sorgte sich plötzlich um Merkel.

Die Kanzlerin steht als mächtigste Frau der Welt auch nach vier Jahren als Star auf der internationalen politischen Bühne. Von ihren innenpolitischen Schwierigkeiten nehmen die fernen Hauptstädte erst seit Freitag Notiz. Neu ist für viele dabei, dass die Kanzlerin ihren internationalen Marktwert nicht nach Deutschland übertragen kann. Neu ist auch, dass sie Wahlen verliert. Das passt sogar nicht zu dem Bild der internationalen Analysten.

Doch lautet heute nicht die Frage, warum hat die Welt so ein gutes Bild von Merkel, stellen wir uns lieber die Frage, warum haben die Deutschen so ein schlechtes Bild von ihrer Kanzlerin? Was wäre ohne sie?

Außenpolitisch punktet die Kanzlerin international wie auch national, weil sie eine deutsche Außenpolitik der Gutmenschen pflegt. Ihre primäre Mission ist der Klimaschutz. Sie setzt dabei auf die Vernunft der Menschen. Kaum ein anderer Regierungschef von Bedeutung kümmert sich so intensiv um dieses Thema. Durch die deutsche Umweltpolitik hat sie gleichzeitig eine hohe Glaubwürdigkeit. In Europa versucht sie den Spagat zwischen Frankreich und Polen und erarbeitet sich dank der bewussten Einbindung kleinerer Länder Anerkennung. Hier entscheidet sie auch. Sie verpflichtet die anderen auf bewertbare Klimaziele und tritt für klare Positionen gegen EU-Beitritt der Türkei ein. Ihren männlichen Kollegen, allen voran dem französischen Präsidenten, lässt sie den Vortritt und kommentiert gleichzeitig nicht jedes kritische Wort. International ist ihr
Kompass europäisch/transatlantisch ausgerichtet. Zu Russland ist ihr Verhältnis zurückhaltend, was nach der doppelköpfigen Politik Schröders zu Russland auf der einen Seite, zu anderen Systemen auf der anderen Seite, erfrischend ist. Gegen China tritt sie bisweilen provozierend auf. Spürbar ist ihre Verunsicherung mit Blick auf den Hindukusch. Für einen wissenschaftlich denkenden Menschen ist dieser Einsatz eine Mischung aus Versuch und Abenteuer und keinenfalls logisch. Den Einsatz unterstützt sie, verwirklicht hatte ihn noch die Vorgängerregierung. Ihre außenpolitische Überzeugung ist logisch, wenngleich nicht in jedem Punkt im Interesse Deutschlands. Sie ermöglicht Merkel aber im Konzert der Großen mitzuspielen und verleiht dem Land Anerkennnung und Machtgewinn. Schwer vorstellbar, dass ein Nachfolger diese Politik im Pianostil durchhalten könnte.

Die Innenpolitik ist anders. Während sie in der Außenpolitik ihre Rolle gefunden hat, sucht sie hier noch. Die Umweltpolitik scheint eine Leihgabe der Grünen zu sein, die Steuerpolitik ist auf Forderungen anderer aufgebaut. Die mutigen Weichenstellung der Leipziger Beschlüsse sind tabu, weil sie scheinbar nicht mehrheitsfähig sind, gar ein Konjunkturprogramm für Linke und SPD wären. Die Fortsetzung der sozialdemokratischen Politik unter ihrer Moderation und mit ausgewählten Positionen der FDP ist mehrheitsfähig. Ihr Gewicht wiegt daher so unbedeutend, weil ihre Kompassnadel das Ziel sucht. Weil Deutschland verhältnismäßig gut dasteht in Europa und der Welt, wird dieses Suchen international nicht wahr genommen. Merkels deutsche Freunde wie Feinde, Wähler wie Nichtwähler nehmen dieses Suchen dagegen wahr.

Was wäre ohne sie? Die außenpolitische Weltgeltung könnte schnell gegen Mittelmäßigkeit eingetauscht werden, wenn andere deutsche Interessen, beispielsweise in der Wirtschaftspolitik oder Sicherheitsarchitektur stärker betont würden. Innenpolitisch stünde den Deutschen eine konfliktgeladene Regierung bevor. Ein reformorientierter Regierungschef würde sich in weiten Teilen der sozialeren Unionsflügel Feinde machen. Ein sozialorientierter Grenzgänger würde den Bruch mit den Liberalen risikieren. Dabei könnten beide Wege konservativer gestaltet sein.

Merkel könnte sich auch einen Königsweg auswählen. Unter Beibehaltung der sozialdemokratischen Politik und der Steuergeschenke könnte sie eine konservative Ausrichtung einschlagen. Aber hier unterschätzen viele die Kanzlerin. Ihre Idee, die Union moderner zu machen, zu einer neuen Mitte zu führen, gibt sie seit Jahren nicht auf. Sie reformiert das Land auf ihre Weise. Zu gegebner Zeit wird ihr Stil zupackend. Der Kompass wird dann die Richtung Leipzig zeigen und keiner wird es merken. Typisch Merkel.

Samstag, 16. Januar 2010

Zugfahrten (1)

Sevilla. Die Deutsche Bahn kommt von ihrem schlechten Image nicht weg, dabei ist sie meist besser als ihr Ruf. Ein Blick über die eigene Grenzen lohnt dennoch. Gerade Franzosen und Japaner rühmen sich mit ihren Hochgeschwindigkeitsnetzen ein effizientes, umweltfreundliches und wirtschaftliches Verkehrsmittel zu besitzen. Unlängst machte der deutsche Verkehrsminister mit der Ankündigung Schlagzeilen verstärkt in das Bahnnetz investieren zu wollen. Spanien hat seit 2008 ziemlich unbemerkt den ersten Platz der Hochgeschwindigkeitsnetze gemäß verfügbarer Bahnkilometer inne. Grund genug einen Vergleich zu ziehen.

Unter großer medialer Begleitung eröffnete die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln. Diese war gleichwohl nicht die erste, jedoch die beeindruckenste und aufgrund der neuen Züge auch die bis dato schnellste Städteverbindung in Deutschland. In Spanien wurde 1992 die erste Hochgeschwindgkeitsstrecke von Madrid nach Sevilla anlässlich der dortigen Weltausstellung eröffnet. Zwischenzeitlich sind viele weitere Städte angebunden und die Kilometerzahl wurde auf 2.230 km ausgeweitet. Der AVE (Alta Velocidad Espanola) erreicht Geschwindigkeit von 300 km/h und verwendet unterschiedliches Zugmaterial, beispielsweise Züge der Baureihe ICE3. Geradezu weitsichtig war die Entscheidung der spanischen Eisenbahngesellschaft Renfe die europäische Normalspur zu verwenden und nicht die klassische, iberische Spurbereite. Damit ist die Integration in das europäische Netz machbar, was die Spanier 1992 ohne europäischen Liberalisierungsdruck bereits ermöglichten.

Durch die unterschiedliche Spurbreite ist eine Intergartion in das übrige Streckennetz nicht möglich. Alle Strecken müssen daher neu gebaut werden. Die Trennung von AVE, also Fernverkehr, und dem Regionalverkehr wird überall deutlich. Die Regionalverkehre der unterschiedlichen Regionen sind Zubringer, alles ordnet sich dem AVE unter. Madrid ist Dreh- und Angelpunkt des Netzes. Durch die strategisch günstige Lage im Zentrum des Landes fahren alle Züge von und nach Madrid. Die Preise sind etwas günstiger als innerhalb des Netzes der Deutschen Bahn. Die Flexibilität ist eingeschränkt. Das Ticket beinhaltet eine Reservierung und Zugbindung. Die Abfertigung ist mit einem Flughafenterminal vergleichbar. Das Boarding beginnt mit dem Röntgen der Koffer, was sicherlich auch den Anschlägen von 2004 geschuldet ist. Anschließend werden die Gleise etwa 30 Minuten vor Abfahrt freigegeben. Die Tickets werden vor dem Gleis kontrolliert und elektronisch eingelesen. 3 Minuten vor Abfahrt des Zuges schließen die "Gates" offiziell, die Züge fahren pünktlich ab. Die Zugbegleiter (etwa von der Anzahl her die Hälfte des deutschen Zugpersonals) sind für das Wohl der Passagiere zuständig, die Fahrkartenkontrolle zählt nicht zu ihren Aufgaben. Das Bordprogramm reicht von 6 Musikkanälen bis zu einem zweisprachigen Filmprogramm. Die Kopfhörer dafür werden verschenkt. Das Bordbistro unterhält die typischen spanischen Kleinigkeiten. Der Komfort an Bord ist generell durch breitere Sitzreihen und dem Unterhaltungsprogramm (in jeder Klasse) etwas höher im Vergleich zu dem deutschen Maßstab. Die Pünktlichkeit ist enorm, meist kommt der AVE etwas früher an, was aber den ungenauen spanischen Zeitangaben geschuldet ist. Die Spanier kennen die Uhr nur im Fünf-Minuten-Takt.

Das spanische Hochgeweschindigkeitsnetz ist beeindruckend effizient und erfolgreich. Nach Eröffnung der Neubaustrecke nach Barcelona reduzierten die spanischen Fluggesellschaften, allen voran IBERIA, die täglichen Verbindungen zwischen Madrid und Barcelona deutlich. Es wird spannend welche Folgen der Anschluss an das französische Netz haben wird. Für Deutschland dient der AVE nur bedingt als Vorbild. Die starke Integration des ICEs in das Netz, die Unabhängkeit des Reisens in Deutschland (keine Zugbindung) und die gewachsene Struktur macht eine stärkere Orientierung am spanischen Muster nicht möglich. Dabei können kleine Verbesserungen, wie eine generelle Reservierung oder ein vergleichbares Unterhaltungsprogramm, weiterhelfen. Eine deutliche Ausweitung des ICE-Sprinter-Angebots als eigenständige Marke im Konzern der Deutschen Bahn ist auch unter Einbeziehung genannter Merkmale des spanischen Netzes und vor dem Hintergrund eines transeuropäischen Angebots überlegenswert.

Freitag, 15. Januar 2010

Madrid - eine nichteuropäische Perspektive

Madrid. Die spanische Kapitale ist nicht irgendeine europäische Großstadt. Sie ist für viele auch ein Brückenkopf nach Europa. Spanier, Latinos, Afrikaner und andere leben hier zusammen und bereichern die kommunale Vielfalt. Doch wie gut sind sie wirklich in das Alltagsleben intergriert. Ein Spaziergang durch zwei Viertel der Hauptstadt bietet eine nichteuropäische Perspektive.

Um einen der beiden Hauptbahnhöfe Madrids, mit Namen Atocha, finden sich drei Viertel in denen Marokkaner, Afrikaner und Latinos leben. Im alltäglichen Leben fallen keine der beiden zu erst genannten Gruppen wirklich auf, lediglich die Latinos prägen das Erscheinungsbild an unterschiedlichen Stellen mit. Vorweg sei der erste Eindruck geschickt, dass Madrid eine extrem liberale, weltoffene und tolarente Stadt ist. Wer einen zweiten Blick wagt, wird diese Meinung behalten und nur geringfügig einschränken. Generell hält sich die Gegenliebe der Spanier, aktuell unter dem Joch der dramatischen Wirtschaftskrise leidend, in Grenzen. Gutbezahlte Arbeit fehlt und so fällt Idee zuviele Immigranten seien in Spanien auf fruchtbaren Boden. Wichtig ist dabei zu wissen, dass wer hier das Licht der Welt erblickt automatisch Spanier ist.

In der Peripherie der Metrostation und des gleichnamigen Platz Lavapiés findet sich das afrikanische/marokkanische Viertel. Während der eigentliche marokkanische Bezirk einen orientalischen Charakter und Charme vorweißt, ist dieses Viertel von Orientierungslosigkeit geprägt. Auffällig viele Menschen stehen in den Straßen und Plätzen scheinbar taten- und arbeitslos herum. Ein Sprachengewirr ist zu vernehmen, wobei französisch als einzige Sprache klar erkennbar ist. Wie Madrid im Ganzen, sind auch diese Plätze sehr sauber. Konjunktur und Arbeit scheinen in diesem Viertel nur Chinesen zu haben. Während sich in Paris um den Bahnhof Paris Est ein afrikanisches Geschäft oder Café an das andere reiht, kann hier vergleichbares nicht festgestellt werden. In Madrid sind es chinesische Billigläden. Cafés sind Mangelware, was sicherlich auch an dem generellen Preisniveau der Hauptstadt liegt. Die gefühlte Stimmung ist negativ. Die nichteuropäische Perspektive ist hier perspektivlos.

Wenige Strassenzüge weiter, um die Metrostation La Latina herum, erstrecken sich die Wohnungen vieler Latinos. Die stärkste Zuwanderug findet derzeit aus Ecuador und Venezuela statt. Insgesamt wirkt das Viertel freundlicher. Cafés und Läden verraten durch Verwendung südamerikanischer Begriffe ihre Herkunft. Es gibt
ein lateinamerikanisches Theater. Chinesische Billigläden sind kaum zu finden, die Wirtschaftskrise jedoch schon. Viele Geschäfte sind geschlossen. Trotz allem wirkt die Perspektive freundlich, weniger pessimistisch.

Für beide Gruppen hat Europa nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Sicherheit und der Ausblick auf einen bescheidenen Wohlstand richten die Kompassnadeln klar aus. Sauberes Trinkwasser, sichere Straßen, Nahverkehr und Nahrung sind für Europäer eine Selbstverständlichkeit, für Latinos und Afrikaner sind sie es nicht. Die nichteuropäische Perspektive ist stets Europa=Hoffnung. Für Europa ist dies eine große Chance. Die demographische Entwicklung ist ein Damoklesschwert. Europa kann dieses Problem zwar auch nicht durch Zuwanderung lösen, jedoch lindern. Gerade die Latinos Spaniens zeigen, dass die Überwindung der Sprachbarriere entscheidend ist. Die Überwindung dieser Barriere schneit dabei nur möglich, wenn die nichteuropäische Perspektive sich weiterentwickelt - sonst wird sie perspektivlos. Die Auswanderungswellen aus dem Armenhaus Europa in die neue Welt im letzten Jahrhundert hatten damals nicht Sicherheit und Wohlstand als Perspektive, sondern den amerikanischen Traum "The American Dream". Das europäische Gegenstück wartet noch darauf geträumt zu werden.

Dienstag, 12. Januar 2010

Gibt dir das Leben eine Saure Zitrone...

Sonntagabend, sibirische Kälte in Köln. Zum dritten Mal besuche ich die alte Römerstadt am Rhein. Freunde holen mich vom Bahnhof Deutz ab. Kurze Wege von den Gleisen zum Parkplatz. Wir durchschreiten das Bahnhofsgebäude. Anfang des letzten Jahrhunderts gebaut, wirkt es irgendwie altehrwürdig. Dennoch sind die derzeit laufenden Renovierungsarbeiten gerechtfertigt, nagte doch der Zahn der Zeit offensichtlich schon länger. Die Eingangshalle wirkt eher wie ein Sakralgebäude: Sie besteht aus einem Kuppelbau, welcher von zwei länglichen Gebäudeteilen flankiert wird. Die hohen Fenster lassen tagsüber sicher viel Licht in die gänzlich leere Halle fallen. Was hier wohl angebetet wird? Die Mobilität wahrscheinlich. Eigentlich ein Grund für mich, kurz dem Charme des Gebäudes und seiner Bestimmung zu erliegen.


Beim Einsteigen ins Auto wird mir allerdings berichtet, der Bahnhof habe 2009 die „Saure Zitrone“ gewonnen. Damit zeichnet der Kölner Verkehrsverein jährlich besonders misslungene Bauten und Schandflecke in der Stadt aus. So rechtes Verständnis für diese Entscheidung will bei mir nicht aufkommen. Trotz des geschäftigen Treibens brauchten wir nur zwei Minuten bis zum Auto. Sogar noch fast trockenen Fußes. Damit bin ich eigentlich zufrieden und hätte deswegen heute dafür keine Zitrusfrucht verteilt.

Sonntag, 10. Januar 2010

Madrid - bitte übernehmen

Madrid. Mit dem Jahreswechsel hat Spanien die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Offiziell wurde der Stab von den erfolgsverwöhnten Vorgängern aus Schweden am vergangenen Freitag in Madrid übergeben. Wie spanischen Tageszeitungen im Vorfeld zu entnehmen war, wird Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero keine passive Rolle übernehmen, sondern tendenziell strotzen vor Aktivität, um von heimischen Problemen abzulenken.

Die Frage ist dabei zunächst, wie sich die spanische Regierung neben den neuen EU-Institutionen präsentieren wird. Der nun ratifizierte Vertrag von Lissabon sieht einen ständigen Präsidenten des Europäischen Rates vor. Dies ist für die nächsten zweieinhalb Jahre der Belgier Herman van Rompuy. Daneben will mit dem Kommissionspräsidenten Barroso ein weiterer Vertreter der iberischen Halbinsel das Ruder der EU führen. Für die spanische Regierung ist der Rat der Europäischen Union ("Ministerrat") vorgesehen, der für die Gesetzgebung in Abstimmung mit dem EU-Parlament entscheidend ist, und nun für sechs Monate unter spanischer Führung liegt.

Zapatero machte gleich zu Anfang deutlich, dass die Passivrolle nicht seine Vorliebe ist. Reibungspunkte mit van Rompuy sind vorprogrammiert. Schon in seiner Ansprache zu Beginn der Amtszeit, die durch die Teilnahme des spanischen Königspaares und Live-Berichterstattung aufgewertet wurde, machte Zapatero dies deutlich. Zum Missfallen von Berlin entwarf er den Plan einer Agenda 2020 für die EU und legte auch wieder die französischen Ideen einer europäischen Wirtschaftsregierung auf den Tisch.

Aus spanischer Sicht ist der Vorstoß klar. Zapatero muss öffentlich punkten, er kann sich nicht passiv verhalten. Nachdem ihm 2004 und 2008 unter anderen Umständen glanzvolle Wahlsiege gelungen sind, zwingt ihm die aktuelle wirtschaftliche Verfassung Spaniens zum handeln, um sein positives Image wiederherzustellen. Die spanische Tageszeitung El Mundo, die dem rechten politischem Spektrum zuzurechnen ist, eröffnete das Jahr mit einem vielsagenden Foto, das Zapatero mit seinem gescheiterten sozialistischen Vorgänger Felipe González (1982-1996) zeigt, darunter die aktuelle Arbeitslosenstatitistik Spaniens. 3.923.000 Menschen sind derzeit ohne Arbeit, was einer mehr als Verdopplung innerhalb von zwei Jahren entspricht. Rückblick: Spanien blühte unter der konservativen Regierung Aznar auf und konnte die Arbeitslosigkeit sowie die Staatsverschuldung deutlich reduzieren. Auch unter seinem Nachfolger Zapatero hielt dieser Trend bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise Anfang 2008 an. Danach verschlechterte sich die Lage von Monat zu Monat und feierte nun im Dezember 2009 mit einer Arbeitslosenquote von über 20% einen traurigen Rekord, der zuletzt unter González Anfang der 90er Jahre erreicht wurde.

Der nun gemachte Vorstoß mag überlegt und nachvollziehbar sein, treffen wird er nicht. Eine Einigung aller Regierungen Europas auf eine Wirtschaftsregierung ist nach den mühevoll errungenen Kompromissen zum Lissabon-Vertrag kaum vorstellbar. Die Aussagen zur Agenda 2020 sind tendenziell richtig, aber zu umfangreich für ein halbes Jahr und unter dem Stichwort Sanktionen für Mitgliedsländer realitätsfremd. Zapatero wird keine Punkte mit diesen Ideen bei vielen Regierungen machen können. Hoffentlich erliegt er nicht dem Glauben, seine Popularität im eigenen Land könnte steigen, wenn er nur genug im Ausland verachtet wird. Dieser Idee lief vor einigen Jahren bereits der Brite Tony Blair hinterher und lähmte die EU für 6 Monate.

Dabei gibt es gerade für eine spanische Regierung genug zu tun. Die Institutionen aus dem Lissaboner Vertrag müssen sich erst finden und sollten in der Welt bekannt gemacht werden. Ein Regierungschef eines großen Landes wie Spanien hat einen besseren Zugang zu den Mächtigen dieser Erde als, bei aller Wertschätzung, der Vertreter Maltas es beispielsweise hätte. Spanien muss gemeinsam mit Europa die Krise überwinden, dabei gilt es aber vor allem den Südländern zu zeigen, wie wirtschaftliche Reformen umsetzbar sind. Für Griechenland, Portugal und Italien, aber auch Zypern, ist Spanien jetzt ein besserer Verhandlungspartner als die kühlen Schweden. Spanien hatte die gleichen Probleme und kann besser und glaubwürdiger für die Probleme dieser Länder innerhalb der Europäischen Union und bei den anderen Mitgliedstaaten werben, wenn es um die Krisenüberwindung und künftige -vermeidung geht. Und nicht zuletzt fällt Spanien die Pflicht zu den EU-Lateinamerika-Dialog mit neuen Ideen zu befeuern wie auch mit den Mittelmeerstaaten außerhalb der EU, allen voran Tunesien, Marokko und Algerien, über verbesserte Beziehungen zu verhandeln. Kein Land der EU kann dies besser außer das Mutterland bzw. das direkt betroffene Land, was Flüchlingsströme und direkte Nachbarschaft betrifft.

Genug Themen für eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft und schöne Bilder! Vamos Sr. Zapatero!

Starbucks oder die Causa Americana

Madrid. Zwischenzeitlich kann man durch nahezu jeder Großstadt der Welt laufen. Man wird sie finden. Man kann sie nicht ignorieren, die amerikanischen Filialisten namens Starbucks, McDonalds oder Burger King. Ob Madrid, Istanbul, Sevilla, Dubai oder London, es gibt sie überall.

Dabei sind die Vorzüge von Starbucks auf dem ersten Blick nicht erkennbar. Es gibt überall eine standardisierte Auswahl an heißen und kalten Getränken, Kuchen und Geschenkartikeln. Die Musik ist identisch, die Einrichtung auch. Das Publikum ist stets jung und international. Genial ist dabei, dass man keine Enttäuschung erlebt. Wer einmal dort war und einen zweiten Besuch wagt, kann sicher sein, dass Qualität und Angebot mit dem ersten Besuch übereinstimmen, egal ob er in New York und dann in Dubai oder Madrid ist. Für unsere Gesellschaft ist das ideal, scheinen wir doch inzwischen das Risiko des Unbekannten zu scheuen.

Die Wachstumsmethoden sind dabei ebenso genial wie einleuchtend. Prüfe wo sich ein etabliertes Café in der jeweiligen Stadt befindet, lasse dich auf der anderen Straßenseite nieder und der Erfolg ist nahezu garantiert. Funktioniert natürlich nur als Wachstumsstrategie. In New York und London ist zwischenzeitlich der Schweinzyklus ausgebrochen und es gibt zahllose Ketten, die um die besten Standorte kämpfen. In Madrid hat es funktioniert, in einer Stadt in der es mehr Cafés gibt als irgendwo sonst auf der Welt, immerhin 1 Café auf ca. 50 Einwohner, hat sich Starbucks wunderbar etabliert. Es ist einfacher einen Starbucks zu finden als ein Café, welches die von mir geschätzten churros con chocolate anbietet. Mir liegt es dabei fern dieses zu kritisieren. Die in jüngerer Vergangenheit so häufig verteufelte Marktwirtschaft hat diese weltweite Ausbreitung gefördert und zudem bin ich viel zu häufig selber in einer Filiale als mich zu den Kritikern zählen zu können. Auch halte ich nichts davon politisch auf die Welteroberung einzuwirken, wie dies exemplarisch in der Kommunalpolitik im ländlischen Raum immer noch vorkommt.

Die USA haben sich also spielerisch auf der Welt mit ihrem Geschmack durchgesetzt. Wer wahre Weltmacht ist, der kann es nur sein, wenn seine Art zu leben, eine weltweite Nachahmung findet. Bestenfalls die Italiener haben dies in Ansätzen mit ihrer Küche geschafft, sind aber an der Standardisierung gescheitert. Die USA sind so erfolgreich, dass die britische Assimilation nun vollends geglückt scheint. Inzwischen wird auf der Insel und nicht nur in London bei Starbucks, Costa Coffee und Co deutlich mehr Kaffee als Tee getrunken. Wenn das mal keine Erfolgsmeldung ist. Warum bei diesem Erfolg niemand im Pentagon auf die Idee kam, den Militärhaushalt Starbucks und McDonalds zukommen zu lassen und Bagdad und Kabul mit tausenden von Filialen zu überziehen ist mir in diesem Zusammenhang schleierhaft.

Ob die dortigen "Machthaber" gegen die Ausbreitung von Starbucks überhaupt etwas entgegensetzen hätten können ist fraglich. Nun ja, vielleicht doch. Stuttgart war eine der letzten deutschen Großstädte in welcher Starbucks Fuss fasste. Warum war mir lange nicht klar. Vielleicht lag es an Karstadt, das lange Zeit im Besitz der deutschen Filialen war und sich offenbar auch auf diesem Gebiet nicht auskannte. Ende 2005, Karstadt hatte Starbucks abgestoßen, eröffneten die ersten Filialen. Unter anderem in der Calwer Straße in direkter Nachbarschaft zu meinem Lieblingscafé, welches kurz darauf schließen musste. Neulich war ich einmal wieder in Stuttgart und fand mein Lieblingscafé größer und schöner und neueröffnet in direkter Nachbarschaft zu Starbucks. Natürlich war mein Besuch Pflicht. Warum mein Lieblingscafé nun deutlich besser besucht war, als der ungeliebte Nachbar war mir beim Eintreten sofort klar. Der Betreiber, ein kluger Grieche, hatte die deutsche Politik zur Hilfe gerufen und konnte dank dem Nichtraucherschutzgesetz in Baden-Württemberg sein Café zu einem Rauchercafé machen. Im Starbucks gegenüber ist das leider, wie überall auf der Welt nicht erlaubt...

Freitag, 8. Januar 2010

Gracias a Dios

Madrid. Ich weile derzeit in Madrid mit dem Ziel meine Spanischkenntnisse aufzubessern. Es ist dabei von entscheidender Bedeutung, so oft wie möglich den Kontakt zu hablantes nativos zu suchen. Der tägliche Besuch einer der zahlreichen Bars oder Cafés ist folglich eine Art Wahlpflichtfach zum Erlernen einer Sprache. Im Café "El Angel Azul" konnte ich mit meinen bescheidenen Sprachkenntnissen Ohrenzeuge eines Gesprächs zwischen dem gelangweilten Kellner und zweier Franzosen, deren Spanisch mein Niveau noch unterschritt, werden. Das Gespräch wandte sich vom aktuellen Wetter, eine spanische "Eiszeit" scheint ausgebrochen, der allgemeinen, wirtschaftlichen Lage des Landes und im Speziellen der Tourismusbranche zu. Der Kellner machte anhand einer Karte deutlich, an welchen Stränden und auf welchen Inseln welche Nationalität anzutreffen sei. Dabei viel das Wort "aleman" sehr häufig. Auf die Frage ob sich das Besucherverhalten in den letzten Jahren geändert habe, antwortete der Kellner: "Ja, die Deutschen sind zurück. Die Zeiten sind schlecht und sie sind wieder da. Gott sei Dank."

Donnerstag, 7. Januar 2010

Neulich im Café (1)

Frankfurt. Neulich in meinem Frankfurter Lieblingscafé "Neues Café Schneider": Weihnachtstrubel. Hektik. Zwischen all den vollbepackten Gästen sitze ich mit meiner FAZ und beobachte die Szenerie. Menschen schieben sich in das Café, wählen aus der reichlich gedeckten Kuchentheke ihren Favoriten aus und bestellen Wiener Melage. Laute Gespräche. Weihnachten ist das beherrschende Thema. Dazwischen wieder Bestellungen. An der Kuchentheke hat eine ältere Dame gerade ein Stück Mohnkuchen bestellt. Es ist das letzte Stück. Es ist klein. Der Kuchen wird zurecht gemacht, die Dame begibt sich zu ihrem Platz. 3,20 EUR kostet ein Stück Kuchen, egal welcher Größe und Art. Auch in diesem Fall. Schnell greift die Bedienung zu, will das Stück zu seiner Bestellerin bringen, doch sie zögert. Sie würdigt das Stück Kuchen eines kritischen Blickes, läuft zurück zur Kuchentheke und erklärt feierlich, sie werde niemals für ein solches Stück 3,20 EUR verlangen. Sie ändert den Preis und liefert es aus.

Ich bin beeindruckt. Sie handelt couragiert im Sinne der Kundin. Bleibt nur zu hoffen, dass dieses Verhalten ohne negativen Spätfolgen bleibt. In diesen Zeiten sind solche kleinen Freuden, ermutigende Beispiele und es bleibt nur zu sagen: Mehr bitte!