Wir vertreten die MAINung, dass Politik von der Diskussion lebt. Dieser Idee haben wir unseren Blog gewidmet. Wir sind Nikolaus Barth und Daniel Müller. Langjährig in der Jungen Union/CSU aktiv und zwischenzeitlich in verschiedenen Berufen und Orten beheimatet. Wir sind unseren Wurzeln dennoch weiterhin verbunden und mit dem steten Drang sich zu Wort zu melden. Die Themen reichen vom Untermain über München und Berlin bis nach Brüssel und darüber hinaus.

Viel Freude beim Lesen!

Montag, 24. November 2014

Nordatlantische Manöverkritik.

München. Es mangelt nicht an Kommentierungen zum aktuellen Ukraine-Konflikt. Die einen verstehen Putin und Russland, die anderen attackieren die aggressive Politik der russischen Föderation. Putins Interview in der ARD ist ein guter Anlass, seine Kritikpunkte ernstzunehmen und Manöverkritik zu üben.

Das war kein gutes Jahr für Europa und die NATO. In Teilen überfordert wurde das nordatlantische Verteidigungsbündnis herausgefordert von einem längst nicht mehr ernst genommenen Gegner. Putin zeigte dem Bündnis die Grenzen auf und trieb so manchen Spaltpilz in die Allianz. Was in der Ukraine und anderswo geschehen ist, wird Europa über Jahre hinaus prägen und die Lehren daraus sind wichtig, um es künftig besser zu machen.

Zu Zeiten des Kalten Krieges trennten ideologische Gründe West und Ost voneinander. Heute macht die Sehnsucht nach einem vorderen Platz in der kapitalistischen Welt Russland zu einem Konkurrenten. Wie an anderer Stelle dieses Blogs schon einmal erörtert, zögert Putin nicht, seine wirtschaftlichen Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Das Muster ist jedes Mal identisch. Im Inneren den Stolz der Russen fördernd, versucht der Präsident, seine Absatzmärkte nachhaltig zu sichern, indem er eine Region destabilisiert.

Im Interview beschrieb Putin seine Grundidee. Russland ist keine entwickelte Industrienation, die Wirtschaft wird getragen von fossilen Rohstoffen und produziert zu wenig. In diesem Zusammenhang bilden Russland und Europa eine Schicksalsgemeinschaft, weil der jeweils andere das ihm fehlende nachfragt. Wer dieses Gleichgewicht stört, provoziert damit Streit. So in seinen Augen geschehen.

Besonders streng geht er dabei mit der Rolle der amerikanischen Freunde ins Gericht. Tatsächlich fehlt den USA das grundlegende Verständnis des Zusammenlebens in Europa und ihr Auftreten in der jüngeren Vergangenheit hat manche freundschaftliche Gefühle verletzt. Sie bleiben der wichtigste Partner Europas, der den Kontinent in der Vergangenheit gestützt und beschützt hat. Dankbarkeit kann aber nur eine Quelle fortdauernder Freundschaft sein, die anderen sind Verständnis, Vertrauen und Verlässlichkeit. Umgekehrt erwarten nicht wenige Politiker aus Washington zu Recht eine Emanzipation Europas und mehr Selbstständigkeit.

Hier liegen auch Europas Fehler in der aktuellen Krise. Die USA teilten die Welt am Ende des Kalten Krieges in Sieger und Verlierer und störten in der transatlantischen Politik in den Augen vieler das geostrategische Gleichgewicht Europas, wo immer sich die Möglichkeit dazu anbot. Daran orientierte sich auch das Auftreten der Europäer selbst, was der aktuelle Spiegel (48/2014) mit Blick auf die Verhandlungen zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zurecht kritisiert. Gegenüber Russland trat die Kommission zurückhaltend und ablehnend auf, statt sie einzubinden.

Doch dieses Beispiel ist nur eines von vielen. Die Nominierung potentieller neuer NATO-Mitglieder durch die USA war für Russland eine Provokation, wie die Bestrebung, durch Georgien und die Türkei hindurch kaspisches und damit nichtrussisches Gas und Öl nach Europa zu exportieren, um die Abhängigkeit Europas und damit die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu reduzieren.

Wo immer Russland seine Interessen gestört sah, schlug es machtvoll zu. So in Georgien 2008 und früher, so aktuell in der Ukraine. Die Ukraine ist nach Deutschland der größte Importeur von russischem Gas und möge das nach russischer Sichtweise noch lange bleiben. Das Streben der Ukraine gen Westen in eine Unabhängigkeit von Russland ist folglich eine Katastrophe für die russische Politik.

Die USA wiederum sehen sich seit langem auf der Siegerseite. Erst jüngst hat Präsident Obama vor australischen Studenten von der letzten verbleibenden Supermacht gesprochen, den USA. Er strapaziert damit die russische Seele, die sich nicht als Verlierer des Kalten Krieges sehen will, sondern deren prowestliche Haltung sich vor allem im Untergang des Kommunismus widerspiegelte. Putin streichelt diese Seele mit einem neuen Nationalismus. Damit führt er seine Beliebtheitswerte in ungekannte Höhen. 

Die Situation ist verfahren und komplex. Eine schnelle Lösung ist nicht möglich. Aus europäischer Sicht kann die völkerrechtswidrige Annexionspolitik Russlands nicht toleriert werden. Sicher ist aber auch, dass eine militärische Auseinandersetzung am Ende niemand will und diese nur Verlierer kennen würde. Die Sanktionspolitik, gepaart mit der Fortsetzung des kritischen Dialogs, scheint der einzig gangbare Weg zu sein für die Europäer.

Der kritische Dialog darf nicht einseitig bleiben. Europa muss geeint selbstbewusst auch gegenüber den USA auftreten. Nicht in Washington werden die Mitgliedskandidaten der EU nominiert, sondern in Brüssel. Das gilt mit Blick auf die Ukraine gleichermaßen wie für die Türkei. Beide Staaten sind Brückenstaaten und als solche besonders wichtig für die Nachbarschaftspolitik Europas.

Was Europa ändern kann, ist langfristiger Natur und muss seinen Nachbarn die Möglichkeit geben, es zu verstehen. Erstens muss sich Europa konsolidieren und die Aufnahme neuer Mitglieder in der jetzigen Form ändern. Am Ende dieses Prozesses muss sich ein Kerneuropa bilden, dass gemeinsam die Herausforderungen angeht. Zweitens muss es darüber hinaus eine Gemeinschaft in Europa geben, die Werte teilt und einen gemeinsamen wirtschaftlichen Raum bildet, die Souveränität der Mitgliedsstaaten aber viel stärker achtet als Kerneuropa. In dieser Gemeinschaft können auch neue Mitglieder aufgenommen werden und alte, wie das Vereinigte Königreich, ihren Weg gehen. Drittens muss Europa seine Nachbarschaftspolitik überdenken. Staaten wie die Türkei und Ukraine dürfen nicht assimiliert werden, sondern sollten als Brückenstaaten auf Augenhöhe zwischen den Räumen stehen. Ihre Zukunft ist nicht eine privilegierte Partnerschaft zum einem Teil hin, sondern die Stellung zwischen zwei Welten. Diese Brücken müssen offen sein für eine bessere Verständigung und Handelstätigkeit zu Mehrung von Wohlstand und Sicherheit. Viertens sollte (Kern-)Europa seine sicherheitspolitischen Aktivitäten auch außerhalb der NATO bündeln und zusammenführen, um Synergien zu heben und wehrhaft zu sein. Fünftens sollte der Traum einer Freihandels- und Sicherheitszone von Vancouver bis Wladiwostok weiter genährt und im Sinne von OSZE und OECD weiterentwickelt werden.

Die Krise in der Ukraine macht ratlos. Europa kann aus dieser Krise nur lernen, indem es versteht, dass es seine Zielsetzungen definieren und erklären muss. Was Europa niemand nehmen kann, sind seine Werte und seine Vielschichtigkeit. Das sind seine Stärken. Höchste Zeit, selbstbewusst zu werden. Keine Lösung für die aktuelle Krise, aber einige erste Schritte auf einem langen Weg dorthin.

Sonntag, 23. November 2014

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?



Erlenbach. Er steht am Fenster. Draußen scheint die Sonne nur schwach auf das Fachwerkhaus im Hintergrund. Es ist trübes Novemberwetter, das den Tag prägt. Irgendwie bedrückend, ganz so als braue sich ein Herbststurm zusammen. In keinem Drehbuch hätte das Set-up des NDR-Interviews besser vorgesehen sein können. Spiegelt es doch die teils unwirtliche Stimmung wider, die den Protagonisten umgibt. Es ist Oliver Junk, der sich vor der Kamera erklärt. Der Goslarer Oberbürgermeister dachte einige Tage zuvor laut über eine Idee. Sie rief ein überregionales Medienecho, und vor allem auch eine kontroverse Diskussion in der Bevölkerung der niedersächsischen 50.000-Einwohner-Stadt hervor. Seitdem fegt ein herbstlicher Shitstorm über ihn und seine facebook-Seite hinweg. „Querdenken“ nennt er den Auslöser. Und dies tut er couragiert, wie ich meine.

Denn Oliver Junk spricht beherzt an, was viele andere nur bemitleidend oder gar argwöhnisch kommentieren: die Unterbringung von Flüchtlingen und vor allem deren Integration in unsere Gesellschaft. Er begreift, dass die demographische Entwicklung auch vor seiner Kommune keinen Halt macht. Dass die Wirtschaft nur dort wächst, wo sich Arbeitskräfte finden und Absatzmärkte entwickeln lassen. Junk schlägt vor, aus der Situation eine Chance für alle werden zu lassen. Er will Flüchtenden mehr bieten als nur kurzfristiges Asyl: Eine Aussicht auf eine neue Heimat. Und denen, die bereits schon hier leben, die Perspektive auf positive Impulse für Wirtschaft und Gesellschaft.

Dem Oberbürgermeister ist bewusst, was er da anspricht und ist auf Kritik gefasst. Aber er hat weiter gedacht und gute Argumente. Er will mit seinen Bürgern diskutieren, wie viele Menschen sie aufnehmen und integrieren können. Momentan sind es 300 Flüchtlinge, die der Landkreis Goslar unterbringt. Junk spricht deshalb zunächst von weiteren 40 oder vielleicht 400, die er dezentral auf leerstehende Wohnungen aufteilen möchte. Er will kleine Schritte. Es geht ihm offenbar im besten Sinn um die Frage der Gemeinverträglichkeit. Auch über die Finanzierung hat er sich Gedanken gemacht. Nimmt seine Kommune verhältnismäßig mehr auf als ihre Nachbarn, bringt er die Refinanzierung über einen interkommunalen Ausgleich ins Spiel. Aufgrund der Leerstände sei es in Goslar günstiger möglich Wohnungen anzumieten, als in denen nur etwas weiter nördlich gelegenen Städten Salzgitter, Braunschweig oder Wolfsburg. Dies beeinflusst nicht die finanziellen Schlüsselzuweisungen des Landes Niedersachsen und lehnt sich am Ende sogar noch an das volkswirtschaftliche Prinzip des komparativen Vorteils an.  

Oliver Junk, der 2011 sogar noch mit CSU-Parteibuch Goslarer Oberbürgermeister wurde, lädt seine Bürger zur Diskussion seines Vorschlags ein. Erschreckend ist, was ihm das in den sozialen Netzwerken einbrockt. Von Schmähkommentaren zu seiner Person bis hin zu offenen rassistischen Äußerungen ist alles dabei. Beim Lesen scheint es, als hielten einige Kommentatoren den § 130 des Strafgesetzbuches für nicht existent. Bei braunem Gedankengut handelt es sich eben um Scheiße. Eine ganz neue Konnotation für einen Shitstorm. Dabei gibt es an Junks Vorstoß nichts zu mäkeln. Er hat ein Konzept samt Finanzierungsvorschlag. Er betont, dass er es diskutieren möchte und stellt keinen vor vollendete Tatsachen. Er möchte etwas für Menschen tun, die heimatlos geworden sind. Und seinen Bürgern aufzeigen, wie auch sie profitieren könnten, wenn Flüchtlingen mehr geholfen würde. Ein Großteil derer wird sich später dankbar zeigen und mit anpacken in einem Land, das sie aufgenommen hat und versucht, sie nach besten Kräften zu integrieren. Es ist schon oft genug gelungen und es gibt viele Erfolgsgeschichten zu erzählen. Keiner will im Gegenzug den Asyl-Missbrauch entkriminalisieren. Straftaten, so sie denn auftreten, sind konsequent zu verfolgen. Dem schwarzen Oberbürgermeister bin ich für seine offen ausgesprochene Erkenntnis dankbar, dass auch viele Chancen und nicht nur Risiken in der aktuellen Flüchtlingssituation stecken. Oliver Junk denkt mutig quer und diskutiert, statt mit den Händen in der Tasche das Problem zu bestaunen. Mehr davon, bitte!

Samstag, 8. November 2014

Ist Scherf der bessere Strauß?

Miltenberg. Zugegeben, es ist ein unvergleichbarer Vergleich. Damit anscheinend eher ein Antagonismus. Einerseits der junge, dynamische Jens Marco Scherf. Andererseits der polternde, altväterliche Franz Josef Strauß. Was mögen die beiden gemein haben? Auf den ersten Blick wenig. Der quicklebendige Grüne und der längst verstorbene Schwarze bilden trotzdem nur scheinbar ein Gegensatzpaar. Beide vereint die Fähigkeit des politischen Instinkts, ihr Herz bei der Sache und die Gabe der rhetorischen Stärke. Mit mehr oder wenigen starken Ausprägungen, natürlich. Mein ehrlicherweise bislang trotzdem hinkender Vergleich der beiden Protagonisten kann sich nur weiter stützen auf die Krücke meiner Beobachtungen aus den vergangenen Wochen. Ich wage einen Deutungsversuch.

JMS und FJS – jeweils drei Buchstaben und zwei spezielle Biographien, aber eine gemeinsame Gattung: die des homo politicus. Scherf wurde mit 39 Jahren Miltenberger Landrat. In diesem Alter saß Franz Josef Strauß zum ersten Mal auf der Regierungsbank. Bundesminister für besondere Aufgaben war er damals. Besondere Aufgaben hat Scherf auch zu bewältigen. Er ist jetzt an der Macht und damit in der Verantwortung. Asylunterkünfte wollen gesucht, ausgestattet und korrekt betrieben werden. Die Verkehrssicherheit auf Bundesstraßen muss gesteigert und die medizinische Versorgung in der Breite gewährleistet sein. Viel zu tun. Oft gibt es mehrere Handlungspfade und Meinungen, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Um Politik zu gestalten, sind also Standpunkte zu bilden und zu artikulieren. Das ist sowohl von der Regierung, als auch von der Opposition zu leisten. In den Blütejahren der Strauß`schen Parteiarbeit schrieb man dem Vorsitzenden zu, dass das bisschen Opposition, was gebraucht werde, die CSU sich doch lieber selber mache. Er wünschte damals, in verschmitzter Manier, es gäbe eine richtige Opposition. Ich teile seinen Wunsch von damals. Heute allerdings für den Landkreis Miltenberg. Um jeglichen Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht um Frontalopposition. Ich rufe vielmehr nach kritischer und gleichzeitig konstruktiver Begleitung der aktuellen Landkreispolitik. Aber wo sind die alternativen Wege, die sich in der Politik so oft auftun? Wer erweist sich als Wanderführer zum Ziel, der nächsten Kommunalwahl? Jürgen Reinhard müht sich redlich. Michael Berninger stellt die richtigen Fragen. Beide beweisen als Bürgermeister, dass sie es können. Ihre Stimmen sind auf Landkreisebene aber noch zu leise. Neue politische Konstellationen bergen auch immer die Möglichkeiten neuer Koalitionen. In Miesbach spricht die CSU mit den Grünen. Das Erhaltende - Konservative - ist sicher ein großes, verbindendes Element. Vielleicht ein Weg, dass aus Beobachtern wieder Akteure werden? Scherf hat beherzigt, was Strauß schon damals wusste: „Auf den harten Bänken der Opposition isst man oft trockenes Brot.“. Aber Regierungsarbeit ist auch kein Festmahl. Das merkt der neue Landrat schon jetzt. Schmecken muss es am Ende dem Bürger. Sonst tauscht er Koch und Kellner. Es wird also Zeit für eine neue Speisekarte im Restaurant der Miltenberger CSU.

Freitag, 7. November 2014

Hat Kohl recht?

Male. Als ein "Schandstück" deutscher Politik bezeichnet Helmut Kohl die rot-grüne Europapolitik Schröders mit Blick auf die Aufnahme Griechenlands in die Eurozone und die Aufweichung der Kriterien von Maastricht. Hat er Recht?

In seinem neuen Buch rechnet der ehemalige Bundeskanzler mit seinem Nachfolger ab. Er sieht den Grund für die aktuelle Krise Europas in einer verfehlten Politik der rot-grünen Bundesregierung um die Jahrtausendwende. Mit ihm, so der Altkanzler, wäre Griechenland der Euro erspart geblieben und Deutschland hätte Kriterien von Maastricht zusammen mit Frankreich manifestiert und nicht aufgeweicht. Im Übrigen kämpft Kohl leidenschaftlich für Europa.

Die Einheit Europas als logische Folge der Deutschen Wiedervereinigung ist Kohls Herzensangelegenheit. So gesehen, trifft seine Kritik zu. In der ersten Legislaturperiode Schröders spielte Europa nicht mehr die Hauptrolle. Deutschlands Position in der Welt galt es 8 Jahre nach der Einheit zu finden. Die großen Wirtschaftsnationen waren zu Gast in Köln, Deutschland beteiligte sich erstmals wieder aktiv an einem Krieg und die guten Jahre des Neuen Markts veränderten die Gesellschaft. Deutschland fand zu einer liberalen Haltung und zu neuer dargestellter Stärke. Der Genosse der Bosse verfolgte dies mit Leidenschaft. 

Doch fortschrittliche Gesellschaftspolitik traf auf rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik. Lafontaine und Schröder planten, das Jahrhundert in die Schranken zu weisen und nahmen viele Reformen der Regierung Kohl zurück oder blockierten die Reformvorhaben, die Kohls Mannschaft ab 1996 auf den Weg brachte. Schon sehr bald zeigte sich, Lafontaine befand sich auf dem Irrweg. Es war Schröders größtes Glück, dass der Saarländer bereits 1999 von allen Ämtern zurücktrat. Mit ihm wäre die existenzielle Krise Europas viel früher ausgebrochen. 

Schröder und sein neuer Finanzminister Hans Eichel setzten zunächst die zukunftsfeindliche Politik, begünstigt durch die aufstrebende New Economy, fort. Dank UMTS-Miliarden ging dies eine Zeit lang gut und die Opposition hatte zwischenzeitlich mehr mit sich selbst zu tun. Erst in der zweiten Häfte der Legislatur offenbarte sich die ganze Misere. Was folgte, ist hinlänglich bekannt. Deutschland brach die Maastricht-Kriterien und startete erst 2003 Reformen, die teilweise Kohls Vorhaben rehabilitierten (Rente) oder sogar deutlich darüber hinaus gingen, weil es galt, die 5-7 verlorenen Jahre aufzuholen. 

Griechenland brachte 2001 der Zeitgeist in den Euroraum. Man wollte einfach diese kleine Volkswirtschaft nicht ausschließen. Wahrscheinlich hofften viele, dass die neue Währung und niedrigere Zinsen den Griechen allein helfen würden, das aufzuholen, was sie vor der Aufnahme  nicht schafften. 

Der Bruch der Währungskriterien durch Deutschland hingegen ist tatsächlich eine Zäsur. Diese  wird immer mit Schröder in Verbindung gesetzt werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Kohl und die Opposition in diesen Jahren durch eine Affäre gelähmt waren. Statt kraftvoll und wortgewaltig Schröders Politik in die Schranken zu weisen, Bücher wie dieses zu schreiben und gemeinsam für eine bessere Politik zu kämpfen, mussten Kohl und die Union sich rechtfertigen und verteidigen. Dieses Versäumnis muss Kohl sich persönlich vorwerfen lassen. 

Europa steht für Frieden und Freiheit. Europa ist unsere Zukunft. Es lohnt dafür zur kämpfen. Dem ist nichts hinzuzufügen. 

Montag, 3. November 2014

Was erlauben Gauck?

Male. Gauck provoziert, mal wieder. Der Bundespräsident, den eine rot-grün-gelbe Koalition ins Amt brachte, hat in einem Interview die Regierungsbildung in Thüringen kommentiert und damit einen Sturm im Wasserglas ausgelöst. Warum eigentlich?

Es nervt. Vor nicht allzu langer Zeit trat Bundespräsident Köhler zurück, weil er sich den Hinweis erlaubte, Deutschland müsse eine aktivere Rolle in der Welt spielen und dafür vielseitig kritisiert wurde. Sein Nachfolger war ein weichgespülter Kurzzeitpräsident, der kaum aneckte und den sein Privatleben überforderte. Es folgte der Bürger Gauck, der nicht meinungslos war, wohl aber bis dahin die Politik von außen betrachtete und kritisierte. 

Im Amt angekommen, sagte er, was er dachte und denkt. Deutschland ist reif für diesen Präsidenten. Er soll zwar nach politischem Konsens außerhalb der Tagespolitik stehen, aber mit Worten idealerweise scharf wie ein Schwert die Tagespolitik auf Fehlentwicklungen hinweisen und Bürgern wie Politikern langfristig eine Orientierung geben. Gauck ist überparteilich, weil er gerade nicht die für die Tagespolitik zuständige Regierung vertreten muss. Er kann kritisieren, wen er will. 

Scheinbar stört das einige. Gauck ist nicht frei von Ängsten, Sorgen und Fehlern. Er hat Wertvorstellungen und Ideen, die nicht jedem passen. Unfehlbar ist er nicht. Vor allem hat er ein Leben von Erfahrungen und Ereignissen hinter sich, das er nicht ausblendet, sondern in Worte scharf wie ein Schwert gießt. Er weist gern darauf hin, was er und mit ihm viele denken und provoziert damit Debatten, die geführt werden müssen.

Im aktuell konkreten und kritisierten Fall sagte Gauck: "Naja, Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren. Aber wir sind in einer Demokratie. Wir respektieren die Wahlentscheidungen der Menschen und fragen uns gleichzeitig: Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können? Und es gibt Teile in dieser Partei, wo ich - wie viele andere auch - Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln. Und wir erleben gerade in Thüringen einen heftigen Meinungsstreit: Ja, was ist denn diese Partei nun wirklich?"

Er akzeptiert die demokratische Entscheidung und erklärt gleichermaßen, was die Gefühle vieler dazu sind.  Das sollten wir und im besonderen die Linkspartei aushalten können. Die Wortmeldungen von heute zeugen davon nicht. 

Gauck wird sich wie viele anstrengen müssen und in der wiedervereinigten Bundesrepublik einen linken Ministerpräsidenten aushalten. Streitbar wie immer wird er das schaffen. Doch schaffen wir es auch, die Debatte zu führen, ohne den Bundespräsidenten anzugreifen und ihm jedes Wort zu verbieten. Wir werden uns anstrengen müssen.