Wir vertreten die MAINung, dass Politik von der Diskussion lebt. Dieser Idee haben wir unseren Blog gewidmet. Wir sind Nikolaus Barth und Daniel Müller. Langjährig in der Jungen Union/CSU aktiv und zwischenzeitlich in verschiedenen Berufen und Orten beheimatet. Wir sind unseren Wurzeln dennoch weiterhin verbunden und mit dem steten Drang sich zu Wort zu melden. Die Themen reichen vom Untermain über München und Berlin bis nach Brüssel und darüber hinaus.

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Dienstag, 16. September 2014

Putins pragmatischer Nationalismus


Miltenberg. Heute verabschiedeten die Parlamente von Europäischer Union und der Ukraine ein gemeinsames Assoziierungsabkommen. Die Volksvertretungen in Straßburg und Kiew nahmen die Vereinbarung praktisch zeitgleich an. Die Tagesschau nennt es ein historisches Ereignis und zitiert den ukrainische Präsidenten Petro Poroschenko, dass das Abkommen ein "ersten Schritt" seines Landes in die EU sei. Es habe „keine Nation jemals einen so hohen Preis gezahlt“, um europäisch zu werden. Bemerkenswert ist der Preis in Form von Zugeständnissen, am Morgen als Gesetze im ukrainischen Parlament verabschiedet wurden: weitgehende Selbstverwaltungsrechte der Regionen Donezk und Lugansk bis hin zur eigenen Volksmiliz und großzügige Straffreiheiten für an Kämpfen beteiligte Separatisten.

Historische Vergleiche bergen Gefahren. Es gelingt häufig nur in der langjährigen Nachbetrachtung, ein Ereignis richtig historisch einzuordnen. Weiterhin gilt leider allzu oft, um es mit Mahatma Gandhi zu sagen, dass die Geschichte die Menschen nur lehrt, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt. Im Bewusstsein vorsichtig mit historischen Vergleichen sein zu müssen, wecken die Krise in der Ukraine, und vor allem der diplomatische Umgang mit ihr, historische Erinnerungen. Es drängt sich Neville Chamberlains Appeasement-Politik Ende der 1930er Jahre auf. Damals wie heute gab es umfangreiche Zugeständnisse gegenüber Aggressoren, um weitergehende Konflikte zu vermeiden. Sicher ist heute die Lage in der Ukraine ein Pulverfass und bedroht die friedliche Entwicklung Europas. An der Lunte ist schnell gezündelt und deshalb diplomatischer Bedacht geboten. Erreichen die europäischen Bemühungen allerdings ihr Ziel, die Region nachhaltig zu befrieden und klare Zeichen zu setzen? Winston Churchill, einer der größten Kritiker der damaligen britischen Beschwichtigungspolitik unter Chamberlain, propagierte, dass eine Appeasement-Politik nur aus einer Position der Stärke erfolgen könne. Besonders gestärkt wird durch die morgendlichen Entscheidungen des ukrainischen Parlaments allerdings einer: Wladimir Putin. Ob sich die Lage letztlich stabilisiert, hängt nun maßgeblich von seiner Reaktion ab.

Der starke Mann in Moskau feiert in einigen Tagen seinen 62. Geburtstag. Das zurückliegende Lebensjahr war sicher auch etwas Besonderes für Putin. Russland präsentierte sich der Weltöffentlichkeit mit den olympischen Winterspielen in Sotschi. Kurz darauf entbrannte der Konflikt auf der Krim und im Osten der Ukraine. Die militärischen Vorbereitungen dürften während der friedlichen Spiele gelaufen sein. Es wäre falsch, es einen makabren Zufall zu nennen. Putin ist nicht bekannt dafür, Dinge dem Zufall zu überlassen. Er ist aber auch nicht allein. Auch wenn Putin oft als Alleinherrscher inszeniert wird, ist es eher eine politisch-funktionale Struktur, die die Staatslenkung übernimmt. Im Kreml sind dies die Silowiki, die einflussreichen Männer um Putin aus Militär und Geheimdiensten. Unter ihnen ist der Eurasismus massiv erstark. Die Ideologie ist nicht neu und findet ihre Wurzeln im Zarenreich. Die Assoziation ist gewünscht, wenn Putin sich in den prunkvollen Gängen und repräsentativen Räumen des Kremls filmen lässt. Putin will den Einflussbereich Russlands ausdehnen. Das Land zu neuer, alter Stärke führen. Weite Teile des Volks erwarten ein international bedeutendes Russland. Putin muss außenpolitisch agieren, um nicht innenpolitisch zu implodieren. Dabei ist zu beachten, dass er zwar in und mit der Sowjetunion aufwuchs, allerdings eher einen pragmatischen denn ideologischen Nationalismus an den Tag legt. Dieser ist vor allem auf die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen wie effektiver Rohstoffgewinnung und starken Absatzmärkten orientiert. Verfolgten Putin und die Silowiki die Idee ihres Eurasismus unbeirrt weiter, könnten sie bald versuchen, ihren Einflussbereich in weitere ehemalige Sowjetrepubliken auszudehnen. Dazu zählen auch einige Turkstaaten wie Aserbaidschan oder Turkmenistan. Dies könnte zu Spannungen mit einem neu erstarkenden Einflussträger der Region, dem türkischen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan, führen. Die Türkei sieht sich jeher gern als Schutzmacht aller Turkvölker. Im Unterschied zur Ukraine ist die Türkei allerdings NATO-Mitglied und gute drei Jahre länger in diesem Bündnis als die Bundesrepublik Deutschland. Käme es hier zu einem Konflikt, wären die Konsequenzen nicht auszudenken.

Donnerstag, 4. September 2014

Der Scheinriese

München. Peter Scholl-Latour ist tot. Sicherlich ungewöhnlich, einen Text über Putin mit diesem Satz zu beginnen. Was PSL ahnte und voraussagte, erleben wir gerade. Russland strebt zurück zu alter Stärke und versucht, an längst vergangene Tage anzuknüpfen. Dabei führt es seinen letzten Kampf.

Wer sich mit Russland beschäftigt, wird zunächst überrascht. Überrascht sind die meisten, weil sie die Russische Föderation für viel größer und mächtiger halten als sie in Wirklichkeit ist. Kaum jemand weiß, dass es nur gut 145 Millionen Russen gibt. In der Europäischen Union leben mehr als 500 Millionen Menschen, in der Ukraine sind es 45 Millionen. Die demographische Entwicklung ist eine Katastrophe, das Land überaltert. Lediglich finanzielle Anreize der Zentralregierung haben dazu geführt, dass es kurzfristig zu einem Kinderboom kam, der bei Eintrübung der wirtschaftlichen Lage auch wieder an seinen früheren Trend anschließen kann. Japan, Europa und bald auch China stehen vor vergleichbaren Aufgaben.

Auf die Wirtschaft kommt es an. Das wissen Putin und seine Leute schon lange. Der Westen unterschätzt, das war auch Scholl-Latours Meinung, die handelnden Personen in Russland. Besser ausgebildet, sprachlich flexibel und strategisch denkend führen sie die Geschicke des Riesenreiches. Ihre politische Idee nationalistisch zu nennen ist zweifelsfrei nicht untertrieben. Sie streicheln die russische Seele, die gedemütigt wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Wer einmal in Moskau war, der wird das schnell nachvollziehen, dass der Anspruch dieser Stadt eigentlich viel zu hoch ist für das Land, welches sie repräsentiert.

Die russische Wirtschaft ist auf kein solides Fundament gebaut. Das Land ist abhängig von ausländischem Kapital und mehr noch von dem Rohstoffhunger des Westens. Europa und Russland bilden in dieser Hinsicht eine Schicksalsgemeinschaft auf Augenhöhe, daran sollte kein Zweifel bestehen. Russland liefert, was Europa braucht und umgekehrt. Doch die Abhängigkeit des einen ist rückläufig. Energiewende und technischer Fortschritt werden langfristig den westlichen Rohstoffhunger reduzieren. Der neue Exportriese USA drückt die Energiepreise zusätzlich. Russland macht, was der Altpräsident Köhler für Deutschland forderte: Es setzt knallhart wirtschaftliche Interessen, notfalls mit militärischen Mitteln, durch und sichert sich damit Absatzmärkte und Einfluss.

Das Spiel ist brandgefährlich. Ein Unentschieden in Form eines „weiter so“ ist schon ein Sieg für die Russische Föderation. Neue Absatzmärkte für Gas und Öl zu etablieren ist möglich, aber die Konditionen sind ungleich schlechter. Einfacher ist es, die Bestehenden zu erhalten. Auch darum geht es aktuell in der Ukraine. Mit 45 Millionen Einwohnern und einer Energieeffizienz, die es zu einem wichtigeren Absatzmarkt für energietragende Rohstoffe als beispielsweise Deutschland derzeit ist, macht, ist das Land ein wichtiger Kunde. Nicht auszudenken, was passiert, würde Brüssel künftig bei der Wärmedämmung in Kiew mitreden. Russland kann heute aus einer Position der Stärke handeln und seine wirtschaftliche Position festigen. Viele andere Möglichkeiten bleiben nicht. Wer sich Putins Russland nähert, erkennt, dass der Riese keiner ist. Ihn jedoch zum Zwerg abzustempeln ist gefährlich.