Erlenbach. Brachten damals die Weisen aus dem Morgenland als gern gesehene Gäste noch Gold, Weihrauch und Myrre, sehen heute manche das Abendland von Neuankömmlingen bedroht. Legenden zur Folge stammten die Heiligen Drei Könige aus dem Gebiet, in dem gerade der so genannte Islamische Staat sein tödliches Unwesen treibt und damit einen massiven Flüchtlingsstrom generiert. Ein Exodus von unvorstellbarem Ausmaß, der Auswirkungen hinein in unsere Gesellschaft in Deutschland hat.
Bundesminister Wolfgang Schäuble beschrieb der Rheinischen
Post die in Bevölkerungsteilen vorherrschende antiislamische Geisteshaltung und
die Demonstrationszüge in verschiedenen Städten, als Folge von Fehlern der
Politik. Er sähe, dass viele Menschen das Gefühl haben würden, dass sie sich in
der institutionell verfassten Politik nicht wiederfänden. Er sorge sich vor
allem um das soziale Gefüge. „Eine moderne, freiheitliche Gesellschaft hängt
davon ab, dass die Menschen das Gefühl haben, es geht in ihr fair zu. Wenn
diese Grundvoraussetzungen für sozialen Zusammenhalt verloren geht, wird das
Gesamtsystem geschwächt.“. Es geht also
eher um die Wahrnehmung oder vielleicht um den Glauben, der die Wirklichkeit
bestimmt. Aus Schäuble spricht der versierte Innenpolitiker. Seine Kompetenz
über das Zusammenführen von Gesellschaften bewies er bereits als Mitgestalter
des deutschen Wiedervereinigungsprozesses.
25 Jahre später drehen sich die Integrationsherausforderungen
eher um Religion, Sprache und Kultur, als um die Überwindung eines
sozialistischen Unrechtsstaates und den Folgen der Teilung. So wie damals
Deutschland von entschlossenen Politikern, eben den Kohls, Köhlers, de Maizières
dieser Zeit, zusammengeführt wurde, braucht es auch heute wieder - im besten
Sinne - Integrationsfiguren. Der Cousin des ersten frei gewählten und auch
letzten Ministerpräsidenten der DDR, der heutige Bundesinnenminister Thomas de Maizière
lebt in Dresden und vertritt seinen Wahlkreis Meißen als Abgeordneter im
Deutschen Bundestag. Er hat sich als Anwalt Ostdeutschlands über Sachsen hinaus
verdient gemacht und genießt hohe Anerkennung in der ganzen Republik. Wer, wenn
nicht er, kann sich um diese aktuelle gesellschaftspolitische Herausforderung
kümmern? Gerade da sich Menschen in seiner Wahlheimat zu Protestmärschen
zusammen finden, ist seine mahnende Stimme mehr gefragt.
Wahrscheinlich verwundert es, wenn ich trotzdem fordere, die
Kompetenzen für die Migrations-, Integrations- und Flüchtlingspolitik in eine
eigenständige Behörde zu überführen. Zumindest gerne auch zunächst befristet.
Das Thema ist wichtig, und dringlich allemal. Aus der Bundesbeauftragen und
Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin sollte die „Bundesministerin für“
werden. Das zuständige Referat für die Vertretung bei der EU in Brüssel muss
gestärkt werden. Die Bürger müssen zwar dezentral, ob in Dresden, Köln oder anderswo
besser erreicht werden. Aber eine nachhaltige Lösung für Flüchtlings- und
Migrationsfragen kann es nur im europäischen Kontext und im Zuge einer
gemeinschaftsweiten Harmonisierung geben. Ich baue meine Hoffnung auf Politiker
wie Serap Güler, denn sie sind personifizierte Erfolgsgeschichten. Als engagierte
christ-demokratische Politikerin, gläubige Muslimin und studierte Germanistin
ist sie eine herausragende Botschafterin integrationspolitischer Anliegen.
Menschen wie sie sind die Verkörperung des Europamottos „In Vielfalt geeint“.
Das ist unsere einzige Chance als Gesellschaft. Denn Traditionsbewusstsein
ist auf keinen Fall gleichbedeutend mit staatlicher Abschottung. Schon gar
nicht hinsichtlich von Religion und Glauben. Deutschland entwickelt sich weiter,
fest verankert in seinen christlich-jüdischen Wurzeln, nun eben mit für die hiesige
Gesellschaft neueren Komponenten wie dem Islam. Hier täte eine klarere Ansage der
Bundeskanzlerin gut. Dass sie für ihre Bekenntnisse einsteht, hat sie mehrfach
bewiesen. Auch wenn es wie 2008 bei dem Versprechen zur Sicherung der
Spareinlagen eher auf eine
psychologische Wirkung abzielt, wäre ein Schritt gegangen. Wer darin nur
Symbolpolitik sieht, springt zu kurz. Symbole gehören glücklicherweise zur
Politik, wie der Islam zu Deutschland. Sie integrieren und stiften Sinn. Ohne
politische Gesten hätte es keinen Kniefall in Warschau, keinen Handschlag von
Verdun und keine Zeremonie vor dem Reichstag am 03. Oktober 1990 gegeben. Ich
warte noch weiter auf das symbolträchtige Bekenntnis zum Miteinander der
verschiedenen Glauben. Aber es wird kommen.