München.
Wir wurden letzten Freitag Zeugen einer bemerkenswerten Nacht. Am Samstag
wachte die Welt mit einer anderen Türkei auf.
Ein dilettantischer Putsch der viele Fragen aufwarf und noch mehr Antworten schuldig blieb. Ein erstarkter Präsident, der die Gunst der Stunde nutzte. Und die Frage aller Fragen: Wie hälst Du es
mit Demokratie, Ankara.
Was der Westen über Twitter und andere soziale Medien
über den Putschversuch in der Türkei erfuhr, förderte Spekulationen und
Verschwörungstheorien gleichermaßen. Wer hat am Freitagabend so unprofessionell
geputscht und Leib und Leben seiner Soldaten gefährdet? Wer hat im staatlichen,
türkischen Fernsehsender TRT die Erklärung vorlesen lassen und was
beabsichtigte der Friedensrat mit seinem Eintreten für die Verfassung, für die
türkische Demokratie?
So offen diese Fragen bleiben, so sicher wissen wir,
wer als Sieger vom Platz geht. Es ist nicht das türkische Volk, das sich tapfer
den Panzern entgegenstellte und aus Überzeugung und/oder Erfahrung seine Rechte
verteidigte. Leider. Gewinner ist der
furchtlose Präsident der Türkei, der die Gunst der Stunde, das Geschenk Gottes,
nutzte, um das Militär und die unbeteiligte Justiz zu säubern und der damit
seinem Ziel einer neuen, präsidialen Verfassung näher kam.
Dilettantisch war nur der Putschversuch, nicht aber
die Reaktion von Präsident und Regierung. Geschickt wurde die wehrfähige
Demokratie in Szene gesetzt und die vorher so gefährlichen Werkzeuge des
Westens benutzt. Die mächtigen Demonstrationen von Ankara und Istanbul haben
die Putschisten weggefegt. Dank Twitter und Apple riss der Kontakt zum Volk
niemals ab. Zur Sicherheit waren die Muezzine subsidiär und riefen die
Gläubigen frühzeitig auf, die Regierung zu unterstützen.
Viele vermuten, dass die türkische Regierung ein
großes Theaterstück inszenierte. Kein
westlicher Experte wollte das am Wochenende ausschließen. Wahrscheinlich ist es nicht. Zu groß ist das Risiko, dass der Putschversuch außer Kontrolle gerät.
Vermutlich trafen die Putschisten auf eine kenntnisreiche Regierung, die auf
den Versuch vorbereitet war, ihn vielleicht sogar bewusst nicht verhinderte und
zeitnahe Gegenmaßnahmen einleiten konnte. Anders ist vieles nicht erklärbar,
weder die schnelle Mobilisierung der Bevölkerung und treuen Sicherheitskräften,
noch die konsequenten Säuberungsaktionen am Folgetag.
Drängender sind jedoch die Fragen nach den
mittelfristen Folgen: Nutzt die türkische Regierung das demokratische
Flügelschlagen aus, um die Demokratie weiter zu beschneiden? Das Ziel Erdogans
ist eine andere Türkei. Stehen seine Leistungen auf wirtschaftlichem Gebiet
außer Zweifel, so ist sein Vertrauen in die Machtteilung der Demokratie seit
langem erschüttert, außenpolitisch ist er sogar gescheitert. Er wird den Putsch
nutzen, auch weil er von seinen innen- und wirtschaftspolitischen Problemen
ablenken will.
Als Partner Europas wird die Türkei unberechenbarer.
Seit einigen Tagen versucht sie ihre selbstgewählte Isolation zu anderen
Staaten zu beenden, sicher auch um die Abhängigkeit von Europa zu reduzieren.
Auch wenn wir durch die Flüchtlingspolitik ein anderes Bild haben, so ist die
Abhängigkeit von Europa Erdogans größte Schwachstelle. Er wird alles tun, um
seine Machtstellung abzusichern, für die Demokratie ist das keine gute
Nachricht.
Europa muss diesen
Bestrebungen selbstbewusst entgegentreten. Europa muss auch das eigene
Verhältnis zur Türkei überdenken und seine eigenen Interessen vertreten. Der
türkische Weg führt nicht in die Europäische Union. Die Türkei ist auch nicht
unser privilegierter Partner, sie muss vielmehr eine selbsttragende Brücke zum
Nahen und Mittleren Osten werden. Die europäische Türkei ist gescheitert. Die
Partnerschaft auf Augenhöhe ist für beide das beste Konzept. Es ist zweifelhaft, ob dies mit Präsident Erdogan gelingt.
Sicher ist aber auch, dass es irgendwann eine neue Generation geben wird. Diese
selbstbewusste Generation war es, die den Putschisten die Stirn bot und sie ist
die Zukunft der Türkei.